Fehlende Akzeptanz des GTR-Motors: Die Hintergründe

Von Rolf Majaranta
Der vom Schweizer Marcel Gerhard entwickelte GTR-Motor sollte den Speedway-Sport als Alternative zum italienischen GM-Aggregat revolutionieren. Doch in der Szene herrschen eigene Gesetze.

Als preiswerte Alternative zum etablierten italienischen GM-Motor hat Ex-Sandbahn- Weltmeister und Tuningspezialist Marcel Gerhard zusammen mit Suter Racing einen Speedway-Motor mit neuer, moderner, wartungsarmer Technik entwickelt. Bei der WM-Premiere 2015 fuhr Testfahrer Chris Harris gleich ansprechende Resultate ein.

Fu¨r die Saison 2016 wechselte der Schwede Fredrik Lindgren, einer der Top-16- Fahrer, vom GM- aufs GTR-Aggregat. Lindgren erreichte beim Stockholm-GP mit Rang 3 erstmals seit Langem wieder einen Podestplatz. 2017 fuhr er beim GP-Saisonauftakt in Slowenien auf Platz 2 und bescherte dem Schweizer Konstrukteur zwei Wochen spa¨ter in Warschau (PL) den ersten GP-Sieg. Daneben fuhr der schwedische Routinier in den Ligen in Großbritannien, Polen und Schweden kontinuierlich hohe Punktzahlen ein.

Nachdem Lindgren im Juni weniger gute Resultate erzielt hatte, Anfang Juli aber an der Team-WM als zweitbester Schwede zwei Laufsiege eingefahren hatte, kam Mitte Juli 2017 u¨berraschend die Nachricht, er habe wieder auf GM-Motoren gewechselt, getunt von Flemming Graversen. Was war passiert? GM-Motoren werden als Kit vertrieben, und zahlreiche Tuner in England, Da¨nemark, Polen und Schweden verdienen mit dem Tuning dieser Motoren fu¨r die Speedway-Kundschaft ihren Lebensunterhalt. Offensichtlich betrachteten sie, wie auch der italienische Hersteller selbst, die Konkurrenz-Motoren aus der Schweiz, die nicht getunt werden mu¨ssen und auch viel la¨ngere Serviceintervalle aufweisen, als Gefahr. Denn in der Szene wird schon seit Jahren u¨ber zu hohe Unterhaltskosten der hochgetunten italienischen Aggregate geklagt. Der GTR wa¨re fu¨r viele Fahrer eine interessante Alternative, um Kosten zu sparen.

Die meisten Spitzenfahrer sind vertraglich an GM gebunden, bekommen gratis Motoren fu¨r eine ganze Saison und wohl auch Vorzugspreise fu¨rs Tuning. Hat einer den Durchbruch geschafft, wollen alle auf dem Produkt fahren, das er dabei einsetzte. Genau so war es auch mit Tuner Graversen: Jason Doyle wurde 2017 mit ihm Weltmeister und der Da¨ne kam groß ins Gescha¨ft. Allerdings waren nicht alle Fahrer mit seinem Motor erfolgreich, sodass mit Kowalski Racing 2018 ein anderer Tuner sich ru¨hmen konnte, die Weltmeistermotoren pra¨pariert zu haben. Das bekannte Spiel ging von vorne los, so läuft es Jahr für Jahr.

Lindgren bezahlte die GTR-Motoren und Gerhard unterstu¨tzte ihn bei den Grands Prix. Natu¨rlich wa¨re es der einfachste Weg, mit entsprechendem Geld einen der etablierten Fahrer vertraglich an GTR zu binden, doch Gerhard ist eine One-Man- Show. Budget, um einen Starfahrer vertraglich an sich zu binden, gibt es weder bei ihm noch bei Suter Racing. Zudem schrieb das Fachmagazin «Speedway Star», dass die Unterstu¨tzung von Spitzenfahrern gefa¨hrdet sei, sobald man bei GM ho¨re, dass sich ein Fahrer auf einen GTR setzen wu¨rde. GM sieht GTR offensichtlich als ernste Bedrohung.

Ex-Weltmeister Nicki Pedersen fuhr Vergleichstests und war vom GTR-Motor angetan, verletzte sich aber wenig spa¨ter und verlor seinen Fixplatz im WM-Zirkus. Ohne Tests stand auch die Entwicklung still, von Lindgren hatte es nie konstruktive Feedbacks gegeben. Gerhard verbesserte einige Details im Bereich Schmierung und Ventilsteuerung und fand so zusa¨tzliche Leistung. Es hatte sich herausgestellt, dass der GTR aufgrund des Schmiersystems in der Schlussphase der Rennla¨ufe u¨ber vier Runden ein wenig an Leistung verlor.

Im Oktober 2018 testete Gerhard in Schweden eine Woche lang ausgiebig mit dem mehrfachen Weltmeister Greg Hancock. Der Amerikaner zeigte sich beeindruckt ob der neuesten Verbesserungen und der gefundenen Mehrleistung. Mit einem GTR im Gepa¨ck reiste er nach Kalifornien. Die Vorzeichen waren positiv, dass er fu¨r die Saison 2019 auf GTR wechseln ko¨nnte. Doch Hancock fuhr keine Rennen und kümmerte sich stattdessen um seine an Krebs erkrankte Frau. Mitte Februar 2020 gab der heute fast 51-Jährige seinen Rücktritt bekannt.

Dieser versta¨ndliche Entschluss führte dazu, dass wir weder 2019 noch 2020 einen GTR-Motor im Grand Prix sahen. Auch beim WM-Start 2021 am 16. Juli in Prag wird keiner dabei sein.

Doch Marcel Gerhard gibt nicht auf, denn es ist unbestritten, dass sein Speedway-Motor ein Meilenstein ist. Nur gibt es in der Szene viele Stolpersteine, die den Durchbruch immer wieder einbremsen. Dabei gab es viel positives Feedback. Jordan Palin fuhr mit einem GTR in der britischen Liga 190 Rennla¨ufe bis zum ersten Service. Neue Kolbenringe und die Ventile einstellen, mehr war nicht no¨tig, das Aggregat war wie neu, der Fahrer sparte viel Geld an Unterhaltskosten. Neben der Politik im Hintergrund, sei es einfach nach wie vor Mode, GM zu fahren, erkla¨rte ein GP-Sieger.

Schon während seiner Langbahnkarriere musste Marcel Gerhard (65) zahlreiche Rückschläge hinnehmen, bis ihm 1992 der große Erfolg mit der Weltmeisterkrone gelang. Beim legendären Otto Lantenhammer «OL» erlernte er das Tuning-Handwerk. 1979 war die Marke Weslake neben Jawa aus Tschechien die Referenz im Speedwaysport. Da entwickelte der italienische Fahrer Giuseppe Marzotto den GM-Motor. Er brachte ihn zu OL zur Weiterentwicklung. Erst als Marcel Gerhard als Angestellter bei OL sich um das Italo-Produkt kümmerte, kamen die ersten Erfolge für GM. Der Autor erinnert sich an den WM-Lauf 1982 in Herxheim: Don Godden persönlich fragte ironisch: «How’s the spaghetti engine?» 1983 gewann der Deutsche Egon Müller auf OL-GM die Speedway-WM. 1984 wechselten viele Fahrer auf GM, da sie überzeugt waren, nur damit konkurrenzfähig zu sein. Marcel Gerhard: «Es zeigt sich immer wieder, wenn die Spitzenfahrer gelbe Motoren fahren, wollen plötzlich alle anderen auch gelbe Motoren.»

Ursprünglich veröffentlicht wurde die Geschichte bei unseren Kollegen von Moto Sport Schweiz in der Printausgabe Nr. 13-14/2019

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