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Formel 1 im Dornröschen-Schlaf: Zeit für den Weckruf

Von Mathias Brunner
Das will Liberty Media sehen: Volle Tribünen bei der Formel 1

Das will Liberty Media sehen: Volle Tribünen bei der Formel 1

​Chase Carey will den Grand-Prix-Sport auf Vordermann bringen. Der 62jährige Spitzenmanager von Liberty Media sagt, wieso die Formel 1 in den letzten Jahren in eine Art Dornröschen-Schlaf verfallen ist.

Der US-Amerikaner Chase Carey, neuer Chef der Formel 1 und damit Nachfolger von Bernie Ecclestone, sagt klipp und klar: «Die Formel 1 hat in den letzten Jahren zu wenig aus sich gemacht.»

Carey will den Grand-Prix-Sport aus einem Dornröschen-Schlaf aufwecken, dies zusammen mit Sean Bratches (für die kommerzielle Seite zuständig) und mit Ross Brawn (dem die sportliche Entwicklung obliegt). Der 62jährige Carey nimmt nie die Worte in den Mund, dass Bernie Ecclestone einen zu wenig guten Job gemacht habe. Dazu ist der US-amerikanischen Spitzenmanager zu diplomatisch.

«Wir verfolgen eine gemeinsame Vision», sagt Carey dafür, was so viel bedeutet wie: vorher gab es keine. Carey will dort den Hebel ansetzen, wo seit Jahren nur geplappert, aber nicht gehandelt wird – zu hohe Kosten, zu niedriger Unterhaltungswert, zu schwerfällige Entscheidungsfindung, zu wenig konsequenter Ausbau des WM-Programms, die Baustellen sind zahlreich.

Carey wittert beispielsweise in seiner Heimat enormes Entwicklungspotenzial: «Ich bin davon überzeugt, dies ist eine gute Gelegenheit, das US-amerikanische Publikum auf eine neue und spannende Art zu beteiligen. Wir sollten dort ein weiteres Rennen in einer Stadt haben. Wir wollen, dass die Formel 1 ein wirklich grosses Ereignis wird. Ich spreche von 21 Super Bowls, die Fans sollen jedenfalls diese Art von Gefühl haben, wenn sie zu einem Grand Prix kommen. Also sollten wir in einer Stadt wie New York, Los Angeles, Miami und Las Vegas fahren, wo die Leute gleich für eine Woche anreisen. Der Sport würde im Zentrum stehen, mit dem Rennen als Höhepunkt, aber es wäre in solchen Metropolen auch rundherum genug los für alle.»

Carey stellt klar: Europa bleibt Kern der Formel 1. Aber als knallharter Geschäftsmann sagt er auch – nicht um jeden Preis. «Wir sind die Neuen hier, und daher kommen alle zu uns und fordern einen Nachlass bei der Antrittsgebühr für einen WM-Lauf. Aber das wird es nicht geben. Was sollten vielmehr die Rennen besser und wertvoller gestalten und Wege des Wachstums finden. Ich glaube, da kann man viel machen. Gleichwohl – Europa bleibt die Basis des Sports und sehr wichtig für uns.»

«Wenn ich an Rennen denke, dann denke ich gewöhnlich an drei Dinge und zwar in dieser Reihenfolge: Fans, Wachstum und Geld. Fans bedeutet, dass die Rennen mehr Besucher anlocken sollen. Wachstum, das steht für Regionen, wo wir ein neues oder zusätzliches Publikum finden können. Geld steht für die Ressourcen, um weiter zu investieren und den Sport gedeihen zu lassen.»

Auch die Vergabe der Gelder in der derzeitigen Form mit unproportionaler Grosszügigkeit an die Top-Teams sei zu überdenken. «Ich glaube, es ist für einen Sport wichtig, dass es fairen Wettkampf gibt. Jeder muss die Möglichkeit haben mitzumachen, und auch der Aussenseiter muss eine Chance zum Sieg haben.»

Mit einem fairen Verteilschlüssel sollen die weniger wohlhabenden Teams gestützt und die Chancengleichheit vergrössert werden. Dabei wird sich Chase Carey früher oder später mit Ferrari anlegen. Die Italiener handelten mit Bernie Ecclestone einen Sonderbonus in Höhe von 100 Millionen Dollar aus, nur damit sie der Formel 1 gewogen bleiben.

In vielen Belangen sind Liberty Media als Formel-1-Grossaktionär die Hände gebunden: Die Abkommen im Dreieck zwischen Bernie Ecclestone, dem Autoverband FIA und den Rennställen gelten bis 2020, die Verträge zur Austragung eines WM-Laufs haben höchst unterschiedliche Laufdauer. Über Nacht wird in der Formel 1 nicht alles anders.

Die grosse Vision von Carey, Bratches und Brawn: Keine Kurzschlussreaktionen mehr, sondern Entschlüsse, die mit Augenmass getroffen werden und der mittel- und langfristigen Entwicklung des Sports dienen.

Carey ist klug genug, auf die Fans zu hören, und die hatten in den vergangenen Jahren reichlich zum Jammern: Hohe Eintrittspreise, aber zu wenig Unterhaltung an den Strecken. Dazu Rennwagen, die zu leise sind, und ein Reglement, das selbst die klügsten Köpfe der Formel 1 im Detail nicht mehr verstehen.

Hier ist Ross Brawn gefragt, der tüchtig entrümpeln wird. Dafür muss zunächst einmal entschieden werden, was funktioniert und was Ballast ist. Die ersten Weichen sind gestellt, zur Freude der Fans. Etwa, dass die Fahrer wieder an einer längeren Leine geführt werden sollen. Duelle mit fliegenden Karbonteilen, ja bitte, Eingreifen der Rennkommissare nur dann, wenn ein Pilot durch ein Manöver klar benachteiligt oder gar gefährdet wurde.

Carey und Co. arbeiten daran, wie sie die Formel 1 auf den ganzen digitalen Plattformen auf den jüngsten Stand der Bedürfnisse und der Technik bringen. Bernie Ecclestone hat auf Facebook, Twitter, Instagram und so fort viel zu träge reagiert. Beim Thema Internet dachte der heute 86-Jährige stets als Erstes ans Geldverdienen, nicht daran, wie der Sport einem grösseren Publikum zugänglich gemacht werden könnte.

Liberty Media wird dieses Thema komplett neu anpacken. Die Medienprofis sehen das Internet und digitale Plattformen nicht vorrangig als Gelddruckmaschine, sondern als Chance, die Faszination der Formel 1 mehr Menschen zugänglich zu machen. Dann wird das auch was mit dem Geldverdienen.

Wer sich in Fan-Foren umsieht, merkt schnell: Die meisten Fans erkennen den Einstieg der US-Amerikaner als grosse Chance für die Formel 1. Aber viele GP-Anhänger bleiben skeptisch. Sie wollen Taten sehen, nicht nur schöne Worte.

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