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Bahrain-GP: FIA verteilt Pflaster für einen Beinbruch

Kolumne von Mathias Brunner
Start zum Bahrain-GP 2017

Start zum Bahrain-GP 2017

​Auf dem «Bahrain International Circuit» soll das Überholen erleichtert werden – dank einer um 100 Meter verlängerten Zone, in welcher der Heckflügel flach gestellt werden darf. Nützen wird das wenig.

Neue Saison, altes Problem: die schnellsten Herren der Welt tun sich schwer mit dem Kern ihres Daseins, mit dem Überholen. Weltmeister Lewis Hamilton kam zum Schluss des Saisonauftakts in Australien nicht an Leader Vettel vorbei. Dabei stellte Ferrari-Star Vettel nachher fest: «Lewis hatte heute das schnellere Auto.»

Die Reifenspezialisten von Pirelli haben errechnet – die Fans erlebten in der Formel-1-Saison 2017 47 Prozent weniger Überholmanöver als im Jahr zuvor. Insgesamt zählte Pirelli 435 Überholmanöver oder im Schnitt 21,75 pro Grand Prix. 2016 waren es noch 866 Überholmanöver (bei einem Rennen mehr), mit einem Schnitt von 41,23 pro Grand Prix. 2015 besagten die Zahlen bei 19 Rennen 509 Manöver, mit einem Schnitt von 26,79 pro WM-Lauf.

In Melbourne brachte eine dritte DRS-Zone nicht viel. Mit dem «drag reduction system» darf der Verfolger seinen Heckflügel flach stellen, um mehr Speed zu und die Chance auf eine Attacke zu gewinnen. In den 58 Rennrunden auf dem 5,303 km langen Albert Park Circuit wurden nur fünf echte Überholmanöver gezählt.

In Bahrain wird die zweite DRS-Zone am kommenden Wochenende um 100 Meter verlängert. Das ist als ob ein Splitterbruch am Bein mit einem Pflaster kuriert werden soll.

Die Autos mit breiteren Reifen und mehr Abtrieb erzeugen mehr «dirty air», also verwirbelte Luft. Das erschwert es dem Gegner, sich in den Windschatten zu arbeiten. Lewis Hamilton: «Die Zahl variiert ein wenig nach Pistenlayout, aber in Australien musst du einen Wagen haben, der um eineinhalb Sekunden pro Runde schneller ist, um ernsthaft attackieren zu können.»

Der Engländer Ross Brawn – Weltmeistermacher von Michael Schumacher bei Benetton und Ferrari – arbeitet heute für «Formula One Management» und ist für die Entwicklung von Technik und Sport zuständig.

Der passionierte Fliegenfischer und Rosenzüchter hat es sich in seiner Aufgabenlist fett rot unterstrichen: Mit den kommenden Fahrzeugen muss es für die Piloten leichter sein, sich auf den Rivalen werfen zu können – und zwar ohne die Überholkrücke DRS.

Brawn hat ein Forschungsteam zusammengestellt, das die Auswirkungen der hochgestochenen Aerodynamik ergründet. Der Engländer hat kompetente Leute geholt, wie etwa den früheren Williams-Aerodynamikchef Jason Somerville.

Die Rennställe geben sich hilfsbereit (wir staunen!) und haben Brawn, Somerville und ihren Mitarbeitern Flussdynamikberechnungsdaten von 2017 zur Verfügung gestellt.

Brawn & Co. haben zudem alle Rechendaten und die Modelle jenes Formel-1-Renners gekauft, der als Manor in der WM 2017 antreten sollte. Leider kollabierte das Team im vergangenen Winter. Ross Brawn weiss, dass der Manor kein Top-Auto gewesen wäre, aber das ist auch nicht nötig, um die Auswirkungen des 2017er Reglements zu erforschen.

Ross Brawn: «Wir können anhand der Daten des Manor-Modells und der Rennställe simulieren, wie sich der Luftfluss hinter einem Fahrzeug auf den Verfolger auswirkt. Wir kommen mit der Arbeit gut voran und werden im kommenden Frühling erste Ergebnisse unserer Forschungsarbeit veröffentlichen können.»

«Auf kurze Sicht werden wir weiter mit dem DRS arbeiten. Meine Hoffnung besteht darin, dass sich die Rennwagen in den kommenden Jahren so entwickeln, dass wir eines Tages darauf verzichten können. Aber in naher Zukunft wird das nicht passieren. Das DRS ist ein notwendiges Heftpflaster für die Natur dieser Rennwagen.»

«Wir arbeiten an Modellen, die zeigen sollen, wie sich verschiedene aerodynamische Varianten auf das Überholen auswirken. In diese Rechenmodelle schliessen wir nicht nur die Aerodynamik mit ein, sondern auch das Verhalten von Reifen und Motor. Bevor wir den Rennsport verbessern können müssen wir durch und durch verstehen, was hier alles passiert. Bislang sind wir da zu wenig methodisch vorgegangen. Wir sind eher unserem Bauchgefühl gefolgt, aber das ist nicht gut genug, wenn wir daran denken, wie unfassbar kompliziert diese Autos sind.»

«Klar spielt der Speed der Autos eine wichtige Rolle. Immerhin wollen die Fans hier die Königsklasse sehen. Aber wenn wir einen Weg erkennen zu besserem Sport, dann wäre ich dazu bereit, ein wenig Speed zu opfern.»

Toro Rosso-Teamchef Franz Tost: «Es ist kein Geheimnis, dass sich die Fahrer sehr schwertun, mit den aktuellen Autos zu überholen. Die Fans fragen immer wieder: Warum ist das denn so? Die Antwort war für mich abzuschätzen, als das neue Reglement für 2017 verabschiedet wurde: Bei den heutigen hohen Kurventempi gelingt es nicht, einem Gegner unmittelbar zu folgen.»

«Wir haben dank anderer Aerodynamik mehr Abtrieb erhalten, dazu mehr mechanischen Grip über die breiteren Reifen. Das erzeugt auch den Effekt, dass die Bremswege noch kürzer werden. Wer sich am Ende der Start/Ziel-Geraden von Barcelona an die Strecke stellt und die ultrakurzen Bremswege beobachtet, der muss sich nicht darüber wundern, dass es kaum richtige Überholmanöver gibt. Wie soll das auch gehen? In der Kurve zuvor kann ich als Fahrer meinem Gegner nicht nahe genug folgen, um auf der folgenden Geraden vom Windschatten zu profitieren. Denn in der verwirbelten Luft rutscht der Verfolger untersteuernd herum. Durch mehr Abtrieb und breitere Reifen haben wir Autos, die auf den Geraden weniger schnell sind als zuvor, daher ist die Bremszone weiter geschrumpft. Daran muss dringend gearbeitet werden.»

«Der einzige Weg: Wir müssen die Aerodynamik dramatisch beschneiden, damit die Autos in den Kurven langsamer werden, damit die Renner auch viel schwieriger zu kontrollieren sind. Die Fans sollen doch von freiem Auge erkennen können, wie hart die Piloten im Cockpit arbeiten müssen, um den Wagen auf der Strasse zu halten. Der Fan muss wieder zur Einsicht gelangen: So ein Auto könnte ich nie fahren! Momenten hast du von aussen den Eindruck – da ist doch nichts dabei. Die Kurvengeschwindigkeiten sind zwar hoch, aber der Einzige, der das wirklich merkt, ist der Fahrer, der enormen Fliehkräften ausgesetzt ist. Der Fan sieht ein Auto, das wie auf Schienen durch die Kurve wetzt, er sieht kaum Gegenlenkbewegungen, das muss sich ändern.»

«Autos mit weniger Abtrieb werden auf den Geraden schneller, das verlängert die Bremszonen und begünstigt Überholmanöver.»

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