Netflix-Star Steiner: Dieser Mann spricht Klartext

Von Tony Thomas
Günther Steiner

Günther Steiner

Seine Tiraden in der Serie «Drive to Survive» haben Günther Steiner zu einem Star gemacht. Doch dem Teamchef von Haas F1 ist das egal, er konzentriert sich lieber auf die Performance seines Teams.

Eine zufällige Begegnung im Paddock von Hockenheim im Jahr 2014. «Hallo Günther. Lange nicht gesehen. Sind die Gerüchte wahr?»

Die Frage wird mit einem Piraten¬ lächeln, verwegenem Charme und einer spitzen Erwiderung beantwortet: «Was glaubst du, warum ich hier bin?»

«Nun, alle behaupten, du kommst mit einem neuen Team in die Formel 1 zurück. Ist das wahr?»

«Na ja, wir stehen hier vor dem verdammten roten Wohnmobil, oder?»

Und mit dieser Bombenmeldung verschwindet er ins scharlachrote Allerheiligste, zu einem der vielen Meetings, die Haas F1 schließlich Anfang 2016 in den Grand¬-Prix¬-Sport bringen sollten – und zwar mit einem Ferrari aus der letzten Saison.

Ein Team um ein bewährtes Auto eines anderen Rennstalls aufzubauen war ein raffinierter Spielzug des Teambesitzers Gene Haas und seines Teamchefs Steiner, des ehemaligen Jaguar- und Red Bull Racing-Mannes. Haas und Steiner hatten herausgefunden, dass es das Reglement der Formel 1 erlaubte, ein quasi komplettes Chassis samt Motor und Getriebe von einem anderen Konstrukteur zu kaufen, um damit ein eigenes Team zu gründen.

Vernünftige Strategie

In Zeiten explodierender Rennbudgets eine durchaus vernünftige Strategie. Die damit erzielbaren Kosten, Personal- und Zeitersparnisse sind enorm – da können Puristen noch so sehr die Nase über eine «Lösung von der Stange» rümpfen. Haas F1 war ge¬boren, vor allem dank Steiners Kompetenz.
Die lässige Herangehensweise passt zu einem Mann, dessen liebenswert rauer Stil damals so erfrischend war wie heute. Tatsächlich war die Präsenz eines derart direkt agierenden Teamchefs in der Formel 1 ein wahrer Segen für alle, die Klartext hören wollten. Bis vergangenes Jahr kamen allerdings nur Mitglieder der F1-Familie in den ausgesuchten Genuss eines Gesprächs mit Günther Steiner.

Aber dann kamen Netflix und die Doku-Reihe «Drive to Survive», die Steiner zu unverhofftem Ruhm verhalf. Knackiges Selbstbewusstsein matcht sich da im «Steiner-Script» mit deftiger Schlagfertigkeit und unbequemen Wahrheiten – von der Kamera ungefiltert eingefangen in der Saison 2018 von Melbourne bis Abu Dhabi.

Ein Twitter-Account (@BanterSteiner) in Sachen «genehmigter Parodie» erschien fast gleichzeitig, samt einer selbst erteilten «Lizenz zum Fluchen».

Das F-Wort fiel auch in der zweiten Saison der Serie häufig, als die Doku die Talfahrt des Teams Haas von einem fünften Platz 2018 bis zu einem traurigen neunten Platz im vergangenen Jahr begleitete. Den Tiefpunkt der Saison 2019 stellte für das junge Team die Kollision der eigenen Fahrer Kevin Magnussen und Romain Grosjean beim Großen Preis von Großbritannien dar – beide mussten das Rennen beenden. «Wir haben zwei verfluchte Idioten, die für uns fahren», wütete Steiner damals. «Das ist nicht akzeptabel, und wir werden Änderungen vornehmen. Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich beide entlassen ...»

Nicht nachtragend

Steiner ist keiner, der die Wucht seiner Emotionen hinter einem Pokerface versteckt, nachtragend ist er aber nicht. Und unter den Bedingungen der Covid-19- Pandemie ist die Fahrerbesetzung des Teams die geringste von Steiners aktuellen Sorgen. «Diese Jungs gehören fast schon zur Einrichtung», lacht er, «und ehrlich gesagt, wenn ich kurz darüber nachdenke, gibt es nicht viele bessere. Lasst uns erst einmal Rennen fahren, und dann denke ich über unsere Fahrer nach. Im Moment lieben wir sie.»

So amüsant Steiners Frotzeleien auch sein mögen: Man sollte sie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der 55-Jährige ist kein Phrasendrescher, sondern ein hartgesottener Motorsport-Ingenieur, dessen Offenherzigkeit von einem ehrgeizigen Wettbewerbsgeist herrührt. Die Schimpfwörter sind dabei nur ein Ablassventil für jene Momente, in denen der Druck den Zeiger tief in den roten Bereich treibt.

Dass er infolge der Netflix-Doku mittlerweile ebenso berühmt wie berüchtigt ist, lässt Steiner relativ kalt. «Ich mache das hier nicht, um berühmt zu werden», sagt er mit Nachdruck. «Ich bin nicht hier, um zu schauspielern, ich bin hier, um einen Job für das Team zu machen und Ergebnisse zu erzielen. Wenn sie es filmen wollen, gut – wenn nicht, auch gut. Es liegt mir nichts daran, von allen gemocht zu werden.»

Und Steiner wäre nicht Steiner, wenn er nicht noch eins drauflegen würde. «Vielleicht werden mir die Leute nicht glauben, wenn ich sage, dass ich keine der beiden Staffeln gesehen habe – fragen Sie meine Frau! Der Grund dafür ist, wenn Sie sich selbst sehen, dann verhalten Sie sich vielleicht anders ...» Er macht eine Effektpause. «Vielleicht sollte ich doch einmal reinschauen!»

Er wird es wohl nicht tun. Denn wenn Steiner irgendetwas ist, dann authentisch. Und es ist ja gerade diese Unverblümtheit, die ihn zum Netflix-Idol gemacht hat und ganz maßgeblich den Reiz von «Drive to Survive» ausmacht. Dies wiederum hat der Formel 1 geholfen, ein neues Publikum zu erreichen, das normalerweise kaum zwei Stunden lang an einem Sonntagnachmittag still sitzen mag. «Ich werde an Orten angesprochen, wo ich es nicht erwarte», gibt Steiner zu. «Die Leute sagen dann: ‚Oh, ich habe Sie gerade auf Netflix gesehen – ich wusste nicht einmal, dass es die Formel 1 gibt.‘ Oder vielleicht wussten sie, dass es sie gibt, aber sie würden sie nie anschauen. Das war also wirklich sehr gut für die Formel 1 – und ich meine nicht nur meinetwegen!»

Was gut für die Formel 1 war, ist auch gut für das Team Haas, das sich vor dem Einbruch im vergangenen Jahr unbemerkt bis auf den fünften Platz der Konstrukteurswertung 2018 hochgearbeitet hat. «Mein Engagement hat uns nicht explizit kommerziell geholfen», sagt Steiner, «diese Beziehungen wachsen ja nur sehr langsam. Aber es hat dazu beigetragen, Haas als Team zu etablieren. Wir sind bei weitem die jüngste Mannschaft des Feldes, aber es scheint, als wären wir schon immer dabei gewesen – also nicht nur in der Art von ‚Wir wollen auch dabei sein‘. Nein, die Leute haben Respekt vor dem, was wir tun. Wir kämpfen um Punkte, wir nehmen anderen Punkte weg – obwohl man, wie wir in den letzten Monaten gesehen haben, den Ball flach halten sollte.»

Sehr erleichtert


Natürlich ist Steiner wie alle seine Kollegen sehr erleichtert, nach einer Zeit, in der die Formel 1 in ihrer Existenz bedroht schien, wieder Rennen zu fahren. Aber die Pandemiepause bot immerhin die Gelegenheit zur Reflexion und zur Überprüfung jener kostenbegrenzenden Regelungen von 2021, die theoretisch die strukturell schlanken Teams wie Haas begünstigen werden.

Laut Steiner dürfte die jüngst vereinbarte Budgetobergrenze von 145 Millionen Dollar (die bis 2023 auf 135 Millionen sinken soll) allen Konkurrenten zugute- kommen. «Für uns könnte das Limit sogar noch niedriger sein», sagt er, «aber wir haben einen Kompromiss, mit dem alle zufrieden sein können. Man muss auch die großen Teams respektieren. Sie sind in den letzten 15 Jahren gewachsen, daher wäre es ziemlich brutal, sie zu bitten, jetzt in sechs Monaten auf die Hälfte ihres Budgets herunterzugehen. Aber ehrlich gesagt, sollten wir schon viel weiter sein, mit einem engeren und spannenderen Wettbewerb für alle. Das ist etwas, worauf wir hinarbeiten sollten – besonders im Sinne der Fans.»

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