600. GP von Sauber: Beat Zehnder erinnert sich

Beat Zehnder
Beat Zehnder kam 1988, als Sauber in der Sportwagen-Weltmeisterschaft antrat, als Mechaniker nach Hinwil und ist seither ein unverzichtbares Mitglied des Schweizer Rennstalls.
Als Peter Sauber 1993 den mutigen Entschluss fasste, in die Formel 1 einzusteigen («Ein vernünftiger Schritt in die Unvernunft»), wurde Beat mit der Leitung der Logistik betraut.
Beats Rolle entwickelte sich im Laufe der Zeit weiter, und er wurde schliesslich Team-Manager, eine Position, die später in die des Sportdirektors umgewandelt wurde.
Beat ist nicht nur das einzige Mitglied des Sauber-Teams, das an jedem der 600 Rennwochenenden des Teams anwesend war; bis heute hat kein anderes Mitglied der aktuellen F1-Teams irgendwo in der Boxengasse eine längere, ununterbrochene Reihe von Grand-Prix-Wochenenden besucht.
Weltrekord.
Beats Reise begann lange vor dem ersten offiziellen Rennwochenende. Im Jahr 1992 nahm Beat an zehn Grand-Prix-Wochenenden als Beobachter teil (nicht in der Summe 600 enthalten), um so viel wie möglich zu lernen und sicherzustellen, dass das Team fürs Debüt von Kyalami im März 1993 bestens vorbereitet war.
Verblüffendes Debüt in Südafrika
«Das war eine sehr aufregende Zeit, vor allem wegen der Grösse des Teams», erinnert sich der Zürcher. «Zum ersten Rennen reisten wir mit 27 Leuten an, inklusive Fahrer und Peter Sauber.»
«Wir hatten drei Rennwagen, weil man damals noch zwischen den Autos wechseln konnte. Natürlich hatten wir eine Menge zu tun, denn wir waren ein sehr kleines Team.»
Zur Überraschung ihrer Konkurrenten qualifizierten sich JJ Lehto und Karl Wendlinger auf den beeindruckenden Plätzen 6 und 10. Dank einer hohen Ausfallrate während des Rennens konnten sich beide Fahrer stetig vorschieben und bei Saubers F1-Debüt ein starkes Ergebnis erzielen.
Beat weiter: «Wir hatten eine realistische Chance, mit Karl auf dem Podium zu stehen, aber wir hatten in seinem Wagen leider einen elektronischen Defekt. JJ wurde Fünfter. Ich erinnere mich, dass Gerhard Berger, der damals bei Ferrari war, mehrmals kam, um sich unser Auto anzuschauen.»
Dunkle Stunden 1994
Die Saison 1994 war nicht nur für die Formel 1, sondern auch für das Sauber-Team eine gewaltige Herausforderung. Das tragische Imola-Wochenende mit den Todesfällen von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger warf einen langen Schatten auf den Sport.
Nur zwei Wochen später verunglückte Karl Wendlinger in Monaco schwer – ein dunkler Moment in der Geschichte des Teams und ein persönlicher Tiefpunkt für Beat Zehnder, der seine eigene Zukunft in diesem Sport in Frage stellte.
«Das war ein Weckruf für die Formel 1, vor allem was die Sicherheit betrifft. Wir waren dann das erste Team mit hochgezogenen Cockpit-Seitenwänden, das hatten wir schon in Barcelona am Wagen.»
Glücklicherweise konnte Karl im darauffolgenden Jahr in den Rennsport zurückkehren, und als Reaktion auf Sicherheitsbedenken wurden von der FIA in den künftigen Vorschriften höhere Cockpitwände eingeführt.
Erster Podestplatz mit Heinz-Harald Frentzen
In der Saison 1995 traten Red Bull, Petronas und Ford als wichtige Partner des Teams auf. Heinz-Harald Frentzen sicherte Sauber mit einem dritten Platz in Monza den ersten Podiumsplatz, und 1996 wiederholte Johnny Herbert diesen Erfolg mit einem hart erkämpften dritten Platz beim ereignisreichen Grand Prix von Monaco.
1997 wechselte das Team zu Ferrari-Motoren, der Beginn einer langen Partnerschaft, und erzielte weiterhin solide Ergebnisse. Allerdings erwies es sich als schwierig, im Vergleich zu den etablierten Spitzenreitern signifikante Fortschritte zu erzielen.
Ausnahmetalent Kimi Räikkönen
Beat Zehnder: «Als privates Team, wirklich klein, ohne Unterstützung eines Autoherstellers, war es für uns schwierig, denn die Formel 1 kostete schon damals sehr viel Geld.»
Beat pflegte immer einen engen Kontakt zu den Sauber-Fahrern und entwickelte eine besonders enge Bindung zum Finnen Kimi Räikkönen, als der junge Finne 2001 zum Team stiess.
Sauber erkannt früh das Talent des blassen Nordländers, während sich die Konkurrenz öffentlich fragte, ob ein Pilot mit nur 23 Autorennen Erfahrung überhaupt Formel 1 fahren sollte.
Beat: «Kimi holte in Melbourne seinen ersten WM-Punkt, das war etwas ganz Besonderes. Er wurde zunächst Siebter, und dann protestierten wir gegen Oliver Panis wegen Überholens unter Gelb. Damals gab es noch keine Videoüberwachung, also brauchte die FIA ziemlich lange, um festzustellen, dass Panis tatsächlich unter Gelb überholt hatte.»
«Als ich Kimi anrief, war er bereits im Hotel, und ich sagte: ‚Kumpel, ich gratuliere dir zu deinem allerersten Rennen, deinem allerersten WM-Punkt, du bist Sechster geworden!‘ Typisch Kimi sagte er: ‚Es sind aber noch fünf vor mir!‘»
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet einer, der Kimis Fähigkeiten lautstark in Frage gestellt hatte, McLaren-Teamchef Ron Dennis, Räikkönen nach einem Sauber-Jahr nach England lockte.
Die BMW-Ära
Die Rolle des Teams als unabhängiges Unternehmen änderte sich 2006 mit dem Beginn der BMW-Ära. Peter Sauber übergab die Leitung an den neuen Teamchef Mario Theissen.
«Der Deal wurde im Juni 2005 bekannt gegeben», erinnert sich Beat. «Es blieb nicht viel Zeit, denn wir arbeiteten bereits am Auto für das nächste Jahr. Die Infrastruktur musste komplett umgestellt werden. Wir hatten viel Unterstützung von Mario, und wir bekamen alles, was wir brauchten. Es war komplizierter als die Art und Weise, wie wir früher gearbeitet haben.»
«Die erste BMW-Saison war bis zur Saisonmitte nicht sehr gut, und dann stand Nick Heidfeld in Ungarn auf dem Podium. Im darauffolgenden Jahr lief alles reibungsloser. Wir hatten zwar nur zwei Podestplätze, Nick wurde in Kanada zum ersten Mal Zweiter, aber er und Robert Kubica wurden bei fast jedem Rennen Vierter oder Fünfter. Wir waren 2007 auf dem richtigen Weg, und 2008 umso mehr.»
In dieser Saison holte Robert Kubica in Montreal den ersten Sieg für das Team, genau ein Jahr nach einem schweren Unfall des Polen auf der gleichen Strecke.
Die Saison 2009 erwies sich als schwierig, was zum Teil auf die Komplexität der neuen KERS-Technologie zurückzuführen war.
BMW plötzlich weg
Als sich das Jahr dem Ende zuneigte, führte eine weltweite Finanzkrise zum Rückzug von BMW aus der Formel 1, und das Team kehrte in die Hände von Gründer Peter Sauber zurück. Der Rennstallgründer hat sich finanziell stark engagiert, um das Team zu retten, was Beat mit Dankbarkeit zur Kenntnis nimmt.
Zehnder: «Natürlich hatten wir mit BMW die Zahl der Mitarbeiter massiv erhöht. Wir hatten das Unternehmen umgestaltet; wir hatten es grösser gemacht. Es gab ein komplett neues Gebäude, das fast so gross war wie das alte Gebäude. In den vier Jahren, in denen BMW bestand, wurde viel investiert.»
«Und dann war BMW plötzlich weg. Das bedeutete, dass wir 250 Mitarbeiter entlassen und das absolute Minimum tun mussten, um das Team am Laufen zu halten.»
Das Team feierte 2012 ein starkes Comeback und holte vier Podiumsplätze, die sich Sergio Pérez und Kamui Kobayashi teilten. Am Ende der Saison übergab Peter Sauber die Rolle des Teamchefs an Monisha Kaltenborn – eine Frau als Teamchef, das hatte es in der Königsklasse noch nie gegeben.
Das Team geriet unter erheblichem finanziellem Druck, eine Situation, die nicht nur Sauber betraf, denn auch andere Teams hatten in dieser Zeit zu kämpfen.
Beat: «Ich habe grossen Respekt davor, wie Monisha für das Unternehmen gekämpft hat. 2014 wollte Peter die Firma mehr als einmal schliessen. Monisha war eine enorme Kämpferin, und ohne sie bin ich mir ziemlich sicher, dass es uns Mitte 2014 oder Anfang 2015 vielleicht nicht mehr gegeben hätte.»
Überlebenskampf belohnt
Dieser Überlebenswille wurde im Sommer 2016 belohnt, als das Team eine entscheidende Investition von den neuen Eigentümern, Longbow Finance, erhielt. Im folgenden Jahr löste Frédéric Vasseur Kaltenborn als Teamchef ab. Der erfahrene Franzose brachte neuen Schwung und Energie in das Team.
Beat: «Der Wechsel war sehr positiv. Es braucht viel, um Fred aus der Fassung zu bringen, er ist ein sehr lustiger, offener, zugänglicher Mensch. Die Herausforderung bestand nicht nur darin, ein Formel-1-Team zu übernehmen, sondern auch darin, dass wir in der Zeit, nachdem Peter das Unternehmen zurückgekauft hatte, unsere Einrichtungen, die IT-Infrastruktur und so fort nicht instand hielten.»
«Dann hat man einen neuen Besitzer und einen neuen Teamchef, und man merkt, dass es viel mehr zu tun gibt, als nur ein F1-Team zu führen. Wir mussten viele Dinge tun, die wir in den Jahren unserer finanziellen Schwierigkeiten nicht getan hatten. Fred hat einen grossartigen Job gemacht.»
Partnerschaft mit Alfa Romeo vor Audi-Ära
Bevor er eine neue Aufgabe bei Ferrari übernahm, stabilisierte Fred das Schiff, schmiedete eine erfolgreiche Partnerschaft mit Alfa Romeo, holte Kimi Räikkönen zurück, verpflichtete mit Valtteri Bottas einen zehnfachen Grand-Prix-Sieger, nachdem Räikkönen in den Ruhestand gegangen war, und brachte das Team auf den Weg, der zu seiner bahnbrechenden Übernahme durch Audi im Jahr 2022 führte.
Beat hat eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung des Teams auf die neue Ära gespielt, die 2026 beginnen wird.
Zehnder fährt fort: «Eine intensive Zeit. Wir haben die Zahl der Mitarbeiter massiv erhöht, wir bauen unsere Einrichtung um. Es ist eine Menge los. Da ist die laufende Saison, die Entwicklung der nächsten Saison und dann der Aufbau eines völlig neuen Teams mit einer völlig neuen Infrastruktur.»
«Wenn man die Zahl der Mitarbeiter verdoppelt, und das haben wir in den letzten zweieinhalb Jahren fast geschafft, dann geht es nicht nur darum, Leute einzustellen, sondern darum, diese Leute perfekt zu integrieren.»
Mit Mattia Binotto, der 2024 die Leitung des Audi F1-Projekts übernommen hat, und Jonathan Wheatley, der von Red Bull Racing als Teamchef gekommen ist, steht eine neue Struktur bereit, um das Hinwiler Formel-1-Schiff in die neue Audi-Ära zu steuern.
Und Beat Zehnder wird das Team weiter begleiten.