Vorsicht, Lebensgefahr: Tiere auf der Rennstrecke
1000 Pferdestärken sind in der Formel 1 nicht so gefährlich wie ein Tier. Immer wieder werden die Grand-Prix-Piloten mit Tieren konfrontiert, die sich auf die Rennstrecke verirrt haben – oder die dort wohnen.
So wie die Murmeltiere auf dem Circuit Gilles Villeneuve von Montreal. Nicht einmal die Organisatoren des Traditions-GP wissen, wie viele Murmeltier-Bauten es unter den Mauern der Pistenbegrenzung gibt, Schätzungen liegen im Bereich von mehreren hundert.
Selbst wenn Rennwagen mit 300 Sachen vorbeipfeifen, sitzen die gemütlich aussehenden Tierchen seelenruhig einen Meter daneben auf dem Grün und mampfen Gras.
Lewis Hamilton hat beim jüngsten Kanada-GP ein «marmotte» getroffen, das ausgerechnet im Schatten einer Fussgängerbrücke die Strecke kreuzte.
2012 lief auf der kanadischen Strecke ein junger Fuchs über die Bahn, und die Fans bekommen ab und zu auch einen Biber zu sehen.
Tiere auf der Rennstrecke, das bedeutet Lebensgefahr, nicht nur für die Tiere. Und unliebsamen Begegnungen von Fahrern und Viechern kommen häufiger vor als viele Formel-1-Fans denken würden.
In Monza 2021 hätte der damalige Williams-Fahrer Nicholas Latifi um ein Haar einen Hasen überfahren, GP-Sieger Valtteri Bottas traf mit seinem Mercedes ein Eichhörnchen.
Die Monza-Rennstrecke liegt in der viertgrössten Parkanlage von Europa (688 Hektar Land), er wurde 1808 nach drei Jahren Arbeit fertiggestellt und ist zweieinhalb Mal so gross wie der Central Park von New York. Rund 110.000 Bäume stehen im Park, 26 Bauernhöfe, drei Mühlen und – ein Hirschgehege. Kein Scherz.
Hasen in Silverstone, Warane in Singapur – und zwar richtig grosse, wie Max Verstappen 2016 feststellte. «Also normalerweise sehe ich so etwas nur im Zoo. Ich fand das Tier sehr schön, aber auch ziemlich gross, also wollte ich mich lieber aus dem Staub machen. Er stand entlang der Bahn, ich sah ihn und hatte Angst, dass er losrennen würde, aber er zögerte, ich kam näher und näher, immer gespannt, ob er lossprinten würde, aber er wartete wirklich, bis ich vorbei war. Ich habe ihn dann im Rückspiegel die Bahn kreuzen sehen. Ich bin gespannt, wo wir ihn das nächste Mal sehen – vermutlich hier im Fahrerlager!»
Schlangen in Malaysia, Käuzchen in Interlagos, Hunde in Bahrain: Ein Bahrain-Test musste wegen streunender Hunde unterbrochen werden. Das ist brandgefährlich. Unvergessen, wie Bruno Senna in der Türkei einem Streuner nicht mehr ausweichen konnte, die Mechaniker mussten die sterblichen Überreste aus den Kühleinlässen des GP2-Renners kratzen.
In Interlagos sind Wildhüter angestellt, welche in der Woche vor dem Grossen Preis von Brasilien nichts Anderes tun, als auf Hundejagd zu gehen.
Klüger machen das die vielen Katzen in den Strassen von Baku: Beim ersten Motorenlärm ziehen sich die Samtpfoten elegant von der Rennstrecke zurück.
Was haben wir nicht schon alles auf der Rennstrecke von Sepang gesehen: Eine Kobra, die sich den Renngeräten mutig, aber aussichtslos entgegenstellte, eine junge Wildkatze, die anmutig über die Bahn sprintete.
Aber solch eine Begegnung der tierischen Art kann übel enden. IndyCar-Champion Cristiano da Matta konnte von Glück reden, dass er nach einer Kollision mit einem Hirsch 2006 mit dem Leben davonkam.
Gegen Vögel gibt es keinen Schutz: Alan Stacey starb 1960 in Spa-Francorchamps, nachdem er von einem Vogel am Kopf getroffen worden war.
Sebastian Vettel umkurvte 2016 in Montreal zwei Möwen, die frech am Scheitelpunkt der ersten Kurve hockten. Seb: «Sie machten null Anstalten, ihren Platz preiszugeben. Ich fliege da im vollem Karacho heran, die hocken völlig relaxed dort. Es war unglaublich.»
Der alte Österreichring (heute Red Bull Ring) war eine wunderbare Freiluftrennbahn, Stefan Johansson war 1987 im freien Morgentraining unterwegs, am Lenkrad seines McLaren MP4/3-TAG Porsche. Als er über eine Kuppe vor der Jochen-Rindt-Kurve schoss, traute Stefan seinen Augen nicht – ein Rotwild!
Der heute 66-jährige Schwede erinnert sich: «Wegen der Kuppe musstest du blind einlenken, du hast auf den Verschlag der Streckenposten ausserhalb der Kurve gezielt, dann wusstest du, dass die Linie in die folgende Kurve halbwegs stimmt. Auf dem höchsten Punkt der Kuppe wurde der Wagen jeweils ganz leicht, und dann sah ich das Vieh – ein Rotwild traf eben Anstalten, sich gemütlich auf den Asphalt zu setzen!»
Johansson wusste genau: ausweichen war längst keine Option mehr, es ging nur noch darum, wie die Kollision verlaufen würde.
Stefan weiter: «Ich hatte nicht einmal mehr Zeit, um zu bremsen. Ich traf das Reh mit der linken Fahrzeugseite, dieses Geräusch werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Der Aufprall war unfassbar, die Aufhängungspunkte wurden glatt aus dem Chassis gerissen, das Monocoque mussten wir wegwerfen. Mein Glück im Unglück war: Hätte ich das arme Reh nur dreissig Zentimeter weiter zur Mitte des Wagens erfasst, so wäre ich am Kopf getroffen worden – das hätte ich nicht überlebt.»