Ein Dutzend Fragen zum Start in die MotoGP-WM 2023
Titelverteidiger Pecco Bagnaia führte zum Abschluss der Wintertests in Portimão ein siebenköpfiges Ducati-Pakt in den Top-8 an. Fabio Quartararo hielt als Dritter auf seiner Yamaha M1 dagegen, Red Bull-KTM-Werksfahrer Brad Binder steigerte sich zum Schluss noch auf Platz 9.
Aprilia-Speerspitze Aleix Espargaró komplettierte die Top-10, musste sich zwei Tage später aber einer Operation am rechten Unterarm unterziehen. Marc Márquez kam auf der Honda nicht über Rang 14 hinaus und landete damit hinter seinem neuen Repsol-Teamkollegen Joan Mir.
Die Testfahrten sind geschlagen, das Rätselraten aber geht noch eine Weile weiter: Hier sind ein Dutzend Fragen, deren Antworten in der bisher längsten Saison der GP-Geschichte gesucht werden.
1. Kann Marc Márquez noch siegen?
Die Zeit wartet auf niemanden, aber das Genie lässt sich nicht leugnen. Die große Frage ist, ob der nun 30-jährige Marc Márquez die Motivation hat, um sich der Flut an jungen Talenten entgegenzusetzen, wie es Rossi lang versucht hat.
Ich würde auf «Ja» tippen, allerdings gilt es einen weiteren Faktor zu beachten: Wird die Honda RC213V gut genug sein, um das zu ermöglichen? Siehe Frage 3.
2. Wird Joan Mir als erster Teamkollege den Meister herausfordern?
Dominant in der Moto3; beeindruckend in seinem einzigen Moto2-Jahr; MotoGP-Weltmeister – und zwar im Jahr 2020, als die Verletzungsmisere von Marc Márquez ihren Lauf nahm. Joan Mir gewann allerdings nur ein Rennen auf dem Weg zum Titel – und danach keines mehr, er wurde sogar von seinem Ex-Suzuki-Teamkollegen Alex Rins in den Schatten gestellt.
Repsol-Honda-Team-Guru Alberto Puig bevorzugte dennoch Mir für das Werksteam. Der Mallorquiner hat damit einiges zu beweisen.
3. Kann sich Honda aus der Krise fahren?
Neue Leute wie Ex-Suzuki-Mann Ken Kawauchi; neue Entwicklungen, inklusive externen Zulieferern. Und die Rede ist von einem Bike, das bis zu Marcs Verletzung noch ein Siegermotorrad war. Es ist davon auszugehen, dass HRC stärker als im Vorjahr sein wird, als nur zwei Podestplätze zu Buche standen, darunter kein einziger Sieg.
Die Sache ist, dass sich die Konkurrenz bereits drei Jahre lang kontinuierlich verbessert. Die Wintertests lassen darauf schließen, dass Honda noch immer Aufholbedarf hat.
4. Werden die Sprints die Meisterschaft beeinflussen und die Zuschauerränge wieder füllen?
Ja zu Ersterem, vielleicht zu Letzterem. Ein «halbe Distanz, halbe Punkte»-Sprint am Samstagnachmittag wird definitiv für eine bessere Show sorgen, aber wird das für den gewünschten Boost reichen?
Das Format kommt mehr den Risikofreudigen als den Reifenflüsterern zu Gute, was Auswirkungen auf die Weltmeisterschaft haben könnte. Sorgen machen die drohenden Verletzungen.
5. Sind 21 Grand Prix zu viel des Guten?
Die Formel 1 hat in dieser Saison 23 Grand Prix im Kalender, plus sechs Sprints am Samstag. Zählt man die Sprints mit, sind es für die MotoGP-Piloten sogar 42 Starts.
Einige Fahrer meinten schon im Vorjahr, 20 Grand Prix seien zu viel, wegen der körperlichen Anforderungen und den Reisestrapazen. Andere (Jack Miller, bitte vortreten!) hätten auch nichts gegen noch mehr Rennen einzuwenden.
6. Geht die Yamaha-Rechnung dieses Mal auf?
Die größte Anomalie der Saison 2022 war die Stärke von Fabio Quartararo auf einem Motorrad, das seine damals noch drei Markenkollegen als desaströs empfanden. Der fehlende Speed wurde zum Teil wettgemacht, das Kundenteam ging dafür (an Aprilia) verloren.
Wird es reichen, um «El Diablo» das zu geben, was er braucht?
7. Hat Ducati zu viele schnelle Fahrer?
Definitiv. Pecco Bagnaias teaminterner Gegner ist Enea Bastianini, der ihn im Vorjahr viermal geschlagen hat. Dazu kommt der super-schnelle Pramac-Star Jorge Martin, Luca Marini auf der GP22 (zweimal Schnellster beim Valencia- und Sepang-Test), Veteran Johann Zarco (dessen erster Sieg längst überfällig wäre), ein aufstrebender Marco Bezzecchi und Ducati-Neuzugang Alex Márquez. Und alle nehmen sich gegenseitig Punkte weg.
8. Kann Bagnaia Quartararo schlagen?
Oder umgekehrt? Sie gehen als die großen Gegenspieler in die neue Saison. Bagnaia erlebte 2022 einen fehlerhaften Start, fand dann aber in der zweiten Jahreshälfte seine Stärke und seinen Fokus. Quartararo zeigte große Entschlossenheit und kam nur selten ins Wanken, obwohl er sein unterlegenes Motorrad klar «überfahren» musste.
Lust auf eine Fortsetzung? Wir werden es sehen.
9. Sollte Suzuki zurückkommen?
Natürlich sollten sie das. Sie hätten erst gar nicht aus der MotoGP-WM aussteigen sollen. Mit den geringsten Mitteln hatten sie ein derart ausgewogenes Motorrad gebaut, das auch ohne Überschuss an PS und Budget Rennen gewann.
10. Ist die Zeit von Brad Binder gekommen?
Als Sonntagsfahrer hat Brad Binder dieselben Fähigkeiten wie Márquez und Quartararo, wenn es darum geht, sich mit Willenskraft über technische Schwächen hinwegzusetzen. Auf diese Weise bescherte er KTM zwei unerwartete Siege, war im Vorjahr WM-Sechster (nur einen Punkt hinter Jack Milller) und im Rennen im Vergleich zum Qualifying stets verlässlich auf dem Vormarsch.
Die KTM ist offensichtlich kein einfaches Motorrad. Ändert sich das 2023, sollte man ein Auge auf Brad haben.
11. Wird Jack Miller KTM ein paar Ducati-Tricks beibringen?
Der Australier bringt mehr als nur die Erfahrung eines vierfachen MotoGP-Siegers in das österreichische Werksteam mit – nämlich fünf Jahre Ducati-Know-how.
Jacks Auftreten mag einen falschen Eindruck von seinen technischen Fähigkeiten erwecken. Ist das so, könnte er seinem neuen Arbeitgeber einige wichtige Lektionen beibringen. Wenn nicht, wird er von seinem neuen Bike enttäuscht werden.
12. Ist die Aprilia-Truppe genug gewachsen?
Oder ist Aleix Espargaró (nun der älteste Fahrer im Feld) vielleicht schon zu erwachsen? Wird Viñales zur besten Version von Maverick finden? Und wird Miguel Oliveira beide schlagen?
Die früheren Underdogs legten im Vorjahr eine beachtliche Steigerung hin, dumme Fehler brachten sie am Ende aber um den Preis. Ein Jahr später könnten die Dinge anders aussehen.