KTM: Riesenaufgabe mit den fantastischen MotoGP-Vier!
Als sich die große KTM-Krise bereits mit Vorboten wie dem Rückzug der Marke Husqvarna ankündigte, gelang es KTM Racing im Sommer 2024, zwei große Namen des Fahrerlagers für das MotoGP-Projekt der Österreicher dingfest zu machen. Nach der wenig überraschenden Beförderung von Super-Rookie Acosta an die Seite des RC16-Urgesteins Brad Binder wurden die Ducati- und Aprilia-Werksfahrer Enea Bastianini und Maverick Vinales zur Unterschrift bei KTM-Tech3 gebeten.
Ohne Frage eine Sensation, denn rein formell konnte KTM Racing damit die hochkarätigste Mannschaft für Werks- und Kundenteam aufbieten. Vier Weltmeister für vier RC16 – Deal.
Die grundsätzliche Begeisterung für das Red Bull-KTM-Traumteam ist auch nach einem Drittel der Saison 2025 noch nicht verflogen, auch wenn die Ergebnisse sich nicht decken mit den Lebensläufen und fünf WM-Titeln der aktuellen Belegschaft. KTM ist (hinter Honda) dritte Kraft bei den Herstellern; bester Athlet ist Pedro Acosta auf WM-Rang 8.
Denn trotz fantastischer Voraussetzungen sind die vier Piloten der RC16 ein alles andere als leicht zu behandelndes Super-Quartett. Alle vier wissen um ihre Qualitäten und beanspruchen volle Aufmerksamkeit. Es gibt keine Rookies – es gibt vier Asse, die sich alle mit einer Liste als potenzielle Weltmeister schreiben. Zugleich fahren bei KTM vier völlig unterschiedliche Typen. Der eigene Kopf liegt in der Natur der Dinge, doch auch die Fahrstile unterscheiden sich gravierend. Wenn auch etwas überspitzt – die fantastischen MotoGP-Vier der Österreicher können so beschrieben werden:
Brad Binder – Hauptsache quer!
Der Südafrikaner, der die RC16 bereits im sechsten Jahr bewegt, fühlt sich immer dann wohl, wenn er sein Motorrad kontrolliert quer einbiegen lassen kann. Binder ist, wenn das Bike seinen Ansprüchen folgt, in den Bremsphasen praktisch nicht zu überholen. Dass die RC16 von allen Piloten als sehr bremsstabil bezeichnet wird, ist eine Konsequenz der langen Zusammenarbeit mit Brad Binder. Zudem ist «BB33» hart am Kurvenausgang unterwegs und hat daher oft früh Probleme in Sachen Hinterradgrip. Schnelle Rollphasen und feinste Nervenenden sind weniger stark ausgeprägt.
Pedro Acosta – der Vorschlaghammer
Der jüngste RC16-Pilot hat eine einfache Herangehensweise. Überall schnell sein. Acosta ist das Gegenteil von harmoniesüchtig. Der 21-Jährige ist vor, während und nach der Kurve aggressiv, verfügt über eine überdimensionale Motorradkontrolle, aber wenig Erfahrung und Feingefühl. Zwar kann Acosta alle Grundfunktionen des Rennmotorrads kommunizieren – doch im Wesentlichen erwartet der Spanier von Crew-Chief Paul Trevathan alle Maßnahmen und die Steuerung der Technik. Acosta als begnadeter Vollstrecker, nicht aber als Entwickler.
Maverick Vinales: MotoGP-Künstler
Die perfekte Runde – das ist für Maverick Vinales wie ein perfektes Gemälde. Sensibel, kreativ, handwerklich perfekt, aber zugleich selbstkritisch und stimmungsschwankend, wenn der Pinsel einmal nicht perfekt in der Hand liegt. Vinales ist ein Arbeitstier, das viel von sich und seiner Mannschaft fordert. Dazu kommt viel Erfahrung – Vinales hat bereits an großen Gesamtkunstwerken mitgewirkt. Geht es um das große Gesamtbild, dürfte Maverick Vinales heute die größte Expertise im KTM-Lager aufweisen. Passend dazu die schnellste Runde beim offiziellen Test – doch in den Rennen hat der Tech3-Pilot die optimale Abstimmung erst einmal zusammengestellt – in Losail steigerte sich Vinales in den Flow und in Führung.
Enea Bastianini: Ducati-Erbe
Der zweitjüngste Pilot der Österreicher ist verwöhnt – von Ducati. Als Moto2-Weltmeister ergatterte Enea Bastianini zum perfekten Zeitpunkt den MotoGP-Einstieg auf der Ducati. Bastianini kennt nur die Desmosedici und damit den besten Prototypen der letzten Jahre. Wenn auch unterbewusst – der Italiener versucht von Tag 1 aus der RC16, eine Desmosedici zu machen. Ein berechtigter Ansatz, doch damit schert der Riminese auch aus der Technik-Phalanx des Projekts aus. Dazu kommt: Bastianini ist der kleinste Racer, benötigt eine eigene Ergonomie, fährt am wenigsten über den Unterkörper, hat eine enorm schnelle Rollphase und dann mit seiner homogenen Fahrweise verlässlich die größte Reserve am Ende eines Rennens.
Bravo – eine geniale, aber außerordentlich komplexe Konstellation, die KTM vor eine von außen betrachtet unlösbare Mission stellt: eine RC16 bereitzustellen, die es allen vier MotoGP-Helden erlaubt, das Beste aus sich herauszuholen.