MotoGP-Zukunft: «Müssen mehr Geschichten erzählen»
Kelly Brittain bringt zwei wesentliche Stärken in ihre Rolle als treibende Kraft hinter die Bemühungen der MotoGP ein, ein größeres Publikum zu erreichen: Zum einen sieben Jahre Erfahrung bei DAZN und Red Bull Racing, wo sie das Marketing leitete. Zum anderen ihren internationalen Hintergrund. Nach dem Umzug mit ihrer Familie vom Vereinigten Königreich ins Dorna-Hauptquartier nach Madrid bringt Brittain – wie zuvor der amerikanische COO Dan Rossomondo – neue Perspektiven ins spanisch geprägte Führungsteam.
«Vielfalt in den Perspektiven ist enorm wertvoll. Wenn alle aus derselben Lebensrealität, mit ähnlicher Ausbildung oder vom gleichen Geschlecht stammen, dann kann man die Diversität der Fans nicht abbilden», erklärte sie in einem exklusiven Interview mit dem Paddock Pass Podcast, der nächsten Monat erscheint und ergänzte «Schmelztiegel sind immer am besten.»
Liberty Media übernimmt nach dem Abschluss des 4,2-Milliarden-Dollar-Deals offiziell die Kontrolle über Dorna Sports und die MotoGP. Brittain kennt die Auswirkungen solcher Veränderungen – und die Popularitätswelle, die auch die Formel 1 erlebte. Besonders die Formel 1 gilt mittlerweile als herausragendes Beispiel für erfolgreiches Sportmarketing.
«F1-Teams sind extrem gut darin geworden, Marken zu verkaufen», sagte sie. «Als ich bei Red Bull ging, bestand das Marketingteam aus rund 150 Personen – das sind echte Marketingmaschinen. Unser Fokus lag klar auf Content-Marketing. Es ging nicht darum, Dosen zu verkaufen oder Autos – sondern die Marke Red Bull aufzuwerten und sie mit etwas zu verbinden, das Menschen wichtig ist.»
Die Entwicklung der Formel 1 (2024 wurde ein Umsatzwachstum von 15 % gemeldet, mit einem geschätzten Publikum von 826 Millionen Menschen) vergrößerte auch den Handlungsspielraum der Teams. «Was wollen Sponsoren? Sie wollen mit einem engagierten Publikum sprechen – und je größer dieses wurde, desto einfacher war es, Partner zu gewinnen. Das brachte wiederum mehr Geld und ermöglichte weiteres Marketing, technische Entwicklung und vieles mehr. Die Formel 1 wurde zum Türöffner – aber das war nicht immer so.»
Brittain kannte die MotoGP, entdeckte aber das eigentliche Potenzial erst bei mehreren Besuchen Ende 2024 und in der aktuellen Saison. «Die Formel 1 ist spektakulär, aber die MotoGP ist nochmals eine andere Liga», erklärte sie. «Ein bisschen Wissen, ein wenig Verständnis helfen, sich einzulassen. Und wenn man die Fahrer persönlich kennenlernt, investiert man sich mehr. Genau das müssen wir bei der MotoGP stärker tun: die Charaktere hinter den Helmen zeigen. Menschen interessieren sich für Menschen. Natürlich begeistern sich die Fans für das enge Racing und die Fähigkeiten der Fahrer – aber sie bauen eine Verbindung zu Persönlichkeiten auf. Wir müssen mehr Geschichten erzählen.»
Die Dorna und die MotoGP arbeiten mit wichtigen TV-Partnern, es fehlte aber lange an internationaler Sichtbarkeit abseits der Rennstrecke. Der Launch der Saison 2025 in Bangkok war ein Schritt in Richtung stärkerer globaler Präsenz. Brittain arbeitet zudem daran, bessere Daten zu erheben, um zu verstehen, wer, woher und wie MotoGP konsumiert.
«Wir hatten oft keine Referenzwerte», gibt sie zu. «Wir wussten nicht, was ‹gut› eigentlich bedeutet – zum Beispiel bei unserer medialen Reichweite. Unsere Social-Media-Strategie ist stark: 60 Millionen Follower sind beeindruckend. Aber wie ist die Stimmung dazu? Was sagen unsere Monatsberichte? Wie ist unsere Markenbekanntheit in sechs bis sieben Schlüsselmärkten? Was interessiert unsere Fans sonst noch? Wir wussten das alles nicht. Nun haben wir viele Dienstleister an Bord geholt, um herauszufinden, wo wir stehen – als Unternehmen, Sport und Marke.»
«Wir müssen den Sport demokratisieren und Menschen erreichen, die uns nicht kannten oder uns nicht in Betracht zogen», ergänzte sie. «Dabei geht es nicht darum, dass jeder jedes Rennen schaut. Auch wer uns nur in sozialen Medien folgt oder Artikel liest, bringt einen Wert. Engagement hat viele Ebenen – aber es ist Engagement. Mein Ziel ist es, das Publikum zu vergrößern – aber sinnvoll. Wir wollen keine Fans kaufen. Wir wollen, dass sie aus den richtigen Gründen kommen, bleiben und Inhalte sehen, die sie wirklich interessieren.»
Den «Drive to Survive»-Effekt beschreibt Kelly als «außergewöhnlich gutes Timing», mit dem Start der Netflix-Serie während der Pandemie. «Die darauffolgende Saison – mit dem Duell Lewis gegen Max – war dann vielleicht die beste überhaupt und sorgte für Spannung bis zum Schluss», sagte sie.
Doch auch die Marketingarbeit der Teams sei entscheidend gewesen. «Die F1 ist heute auf einem Höhepunkt und Content-Marketing hat einen großen Anteil daran. Die Teams treiben das stark voran – wir sehen Lando [Norris] und Charles Leclerc immer öfter abseits der Rennstrecke. Sie haben eigene Agenturen, sie sind Unternehmer – und sie bringen ebenso viel Reichweite wie die Serie selbst. Dieses Zusammenspiel ist mächtig – und kompetitiv. Aber nichts bringt Sport weiter als das.»
Brittain glaubt jedoch nicht, dass eine MotoGP-Version der Serie den gleichen Effekt hätte. «Viele Sportarten haben versucht, ‹Drive to Survive› zu kopieren – die meisten sind gescheitert», stellte sie fest. «Für uns geht es nicht darum, die F1 zu kopieren. Wir haben bereits viele gute Geschichten. Wir müssen sie einfach besser erzählen. Wir brauchen kein 'Ride to Survive', aber wir müssen Inhalte abseits der Rennstrecke besser nutzen.»
Wie die MotoGP künftig neue Fans gewinnen will, ohne stärker auf Streaming oder Plattformen wie YouTube zu setzen, bleibt offen. Vielleicht bringt Liberty Media hier neue Impulse. Viele fragen sich, wie sich die MotoGP unter der neuen Führung – erstmals seit 1992 – verändern wird. Die ersten Anpassungen dürften im Hintergrund stattfinden, ohne das Produkt radikal zu verändern.
«Liberty hat großes Vertrauen ins bestehende Geschäft. Wenn ein Unternehmen auf 4,2 Milliarden bewertet wird, steckt da schon sehr viel Know-how drin», so Brittain. «Ich glaube nicht, dass jemand reinkommt und alles auf den Kopf stellen will. Sie werden Türen öffnen. Seit der Übernahme bekommen wir mehr Anfragen – das ist ein gutes Zeichen. Ich denke, sie haben klare, ambitionierte Ziele im Hinblick auf Wachstum und Kommerzialisierung – und wir müssen sicherstellen, dass wir dafür gerüstet sind. Was das im Alltag genau bedeutet? Das wissen wir noch nicht. Aber ich glaube, viele bei uns empfinden es als spannend.»