MotoGP-Selbstversuch: Irre Taxifahrt mit Jonas Folger
Als Chauffeur fungierte auf dem Red Bull Ring in Spielberg Jonas Folger (31), der Mann, der 2017 auf dem Sachsenring beinahe Marc Marquez entthront hätte. Auch für Folger war es ein Debüt mit dem Doppelsitzer, bislang war Mika Kallio der Mann für diese Aufgabe.
Vor 20 Jahren saß ich bei Ron Haslam in Oschersleben im Sattel einer Fireblade mit Gästesitz – ich hab’s ja drauf, dachte ich mir recht entspannt. Auch die technischen Daten der RC16 auf einem kleinen Täfelchen vor dem Bike nehme ich zur Kenntnis. Oft genug habe ich über die 300-PS-Raketen Daten gewälzt, Seamless-Getriebe inklusive.
Als es am späten Nachmittag nach einem heftigen Schauer im Aichfeld endlich abtrocknet, checkt Jonas mit einer Enduro-KTM die Ideallinie im Zehn-Minuten-Takt – dann kommt grünes Licht. Wir gehen es also doch noch an! Die Minuten kurz davor wirken wie eine Ewigkeit. Und ausgerechnet vor meinem Slot nimmt sich Folger ein weiteres Mal die Zeit, um die Reifen mit einer Solo-Runde wieder auf Temperatur zu bringen. «Will der Jonas sich jetzt genau mit mir etwas beweisen», schießt es mir spontan in den Kopf. Aber der Gedanke wird verdrängt – ich weiß ja von ihm, wie ernst er seinen neuen Job nimmt.
Äußerlich lasse ich mir sowieso nichts anmerken. Schließlich stehen die Kids samt Schwiegervater an der Boxenmauer – erstere haben ohnehin schon genug Respekt vor meinem Abenteuer. Dann noch mal kurz der Weg rüber zu Erzberg-Ikone Mani Lettenbichler, der seinen Slot direkt nach mir hat. «Ich werde dir den Sitz schön warm machen», rufe ich ihm unter dem Helm zu – er lacht laut auf. Okay, dann geht’s los, Jonas rollt an, ich springe über ein kleines Podest schwungvoll in den Sattel. Die Beine werden auf der Spezial-Fußraste platziert, die Zehen unter einem Bügel für mehr Stabilität. Nochmals rufe ich mir alle Hinweise aus dem Briefing ins Gedächtnis: Kopf immer innen reindrehen in der Kurve – mithelfen! In der Beschleunigung die Ellenbogen reinziehen, Kopf runter. Dann zeigt der Mechaniker Daumen hoch – ich nicke –, los geht’s!
Schon die Auffahrt aus der Boxengasse zu Kurve 1 macht die unbändige Power spürbar. Wieviel Leistung hat das Ding, frage ich mich fast etwas panisch. Als Jonas dann gleich zur neuen Münzer-Schikane beschleunigt, reißt es mir fast den Helm vom Kopf – schnell rein mit dem Körper in die Deckung! Aber dadurch verpasse ich völlig den Bremspunkt, habe zu wenig Spannung im Oberkörper, es presst mich in den Nackenhöcker von Jonas. Schnell finde ich wieder Körperspannung, ziehe mich nach hinten. Jonas manövriert die RC16 durch die Schikane, als wäre ich nicht da.
Mega, irre – ich schaue am Ausgang der Schikane links innen am Kopf von Jonas vorbei kurz hoch zur Haarnadel – uaaahhh! Ich weiß nicht, woran ich denken soll, schon ist die Ecke da. Ich hoffe intuitiv, dass ich innen nicht den Asphalt zu spüren kriege. Auf der Schönberg-Geraden dann der nächste Hammer – wir fahren unfassbare 290 km/h! Den Helm strecke ich nur kurz am Kopf von Jonas raus, das reicht. Der Bremspunkt bergab zur Rauch-Kurve ist umso heftiger – völlig gaga! Ich rette mich irgendwie, behaupte für mich, dass das Hinterrad abhebt.
Es geht weiter: Was macht der da im Infield? Es geht alles so schnell! Ich wollte die Fahrt doch genießen, dabei sehe ich kaum etwas. Trotzdem geil, denke ich mir immer wieder. Der nächste kurze Gedanke: Das hier glaubt mir keiner – bin ich denn deppert? Gottseidank kenne ich die Piste von gefühlt Hunderttausenden Runden beim Kommentieren oder früher als Zuschauer in- und auswendig – das hilft mir. Ich weiß zumindest, wo wir gerade sind.
Das Infield wirkt wie die größte Achterbahn auf dem Jahrmarkt, nur muss ich mich hier selbst festhalten. Zwischen Kurve 6 und 7 steigt sogar kurz das Vorderrad hoch! Was ist jetzt schon wieder? Ich muss mich fassen, vorbereiten auf die nächste Ecke. Wieder die Wahnsinnskraft auf der Bremse. Der Reifen hält wie Kleber, Jonas wirft das Teil spielend rein ins Links-Eck. Brutal ist auch die Beschleunigung im Rechtsknick (T8) heraus aus dem Infield. Ich winsele fast unter dem Helm – Speed in Kombination mit leichter Schräglage – viel mehr geht nicht. Festhalten nicht vergessen, es zieht schon wieder so heftig an den Armen. Die Zielgerade ist auch ein besonderer Fall: Die Betonwände fliegen an mir vorbei, es sieht aus wie in einem Computerspiel, aber dann kommt vor Turn 1 wieder die G-Kraft wie mit einem Hammer.
Auch die mehr als zügige Bergab-Anfahrt in die Boxengasse von Jonas jagt dem geneigten Hobbyfahrer und Mountainbiker noch einen kurzen Schrecken ein. Jetzt erlebe ich hautnah, wie essenziell das Thema Reifen ist. Irgendwann muss ich es unter dem Helm dann rauslassen: Jonas, du geile Sau! Ich springe vom Bock, abklatschen mit Jonas, ich kann nur den Kopf schütteln. Das Hirn ist wieder frei! So fühlt sich wohl ein geistiger Reset an – nur noch Glücksgefühle, Wahnsinn! Die Unterwäsche nass geschwitzt, zum Ausdrehen.
In der improvisierten Nachbesprechung dann sogar ein kleines Lob zwischen den Zeilen vom Meister an Letti und meine Wenigkeit: «Ich habe schon gemerkt, ihr habt in den Kurven gut hinten mitgearbeitet, das erleichtert den Job enorm. Manche klammern sich hinten fest, rühren sich kaum in den Kurven. Das ist dann schon spürbar für mich.»
Jonas relativiert dann aber sofort: «Ich kann mit euch im ersten und zweiten Gang nur sehr wenig Gas geben, die Wheelie-Neigung ist einfach zu stark. Aber die Gänge 3, 4 und 5 drehe ich ordentlich aus. Mir macht der Job irrsinnig Spaß, ich habe vor der ersten Fahrt eine Stunde mit dem Bike trainiert. Es ist auch schön, danach immer die strahlenden Augen der Mitfahrer zu sehen.»
Mein körperliches Fazit: Obwohl es nur zwei Runden waren, machte mir vor allem der Nacken am Tag danach Probleme, das Gleiche gilt für die Leisten. Aber alles gut. Die Mega-Erfahrung einer neuen Galaxie steht über allem!