Kalender 2020: Krise als Chance verstehen

Von Thoralf Abgarjan
Die Werke sitzen mit im Boot, wenn es um Kostenreduktion geht

Die Werke sitzen mit im Boot, wenn es um Kostenreduktion geht

Die geplanten Triple-Events (Sonntags-Mittwochs-Sonntags) sind durchaus ein Beitrag zur Kostensenkung, doch der Serienvermarkter vernachlässigt mögliche Einnahmequellen ihrer eigenen Medienproduktion.

Es ist nicht der Job eines Nachrichtenmagazins wie SPEEDWEEK.com, einem Unternehmen wie 'Infront Moto Racing' oder dem Weltverband FIM Ratschläge zu erteilen oder Beraterleistungen zu erbringen. Es ist aber sehr wohl die Aufgabe der Medien, objektiv, neutral und differenziert über Themen wie die geplante Durchführung eines Weltprädikats zu berichten, Zusammenhänge zu erklären und eventuelle Schwachstellen aufzudecken.

Ein WM-Kalender ist keine basisdemokratische Angelegenheit. Wie allgemein bekannt ist, hat 'Infront Moto Racing' den Kontakt zu den Organisatoren gesucht. Darüber berichtete schon der Geschäftsführer des MSC Teutschenthal Ende April im 'Interview der Woche' mit SPEEDWEEK.com. Selbstverständlich halten die Organisatoren ihrerseits auch Kontakt zu den lokalen Behörden, um die Möglichkeiten der Durchführung eines WM-Laufs auszuloten.

Auch besteht keinerlei Zweifel daran, dass die Corona-Krise alle Beteiligten (FIM, Serienvermarkter, Organisatoren, Werke und Fahrer) vor große Herausforderungen stellt. Auch das ernsthafte Bemühen aller Seiten wurde und wird nicht in Frage gestellt.

Tatsache ist, dass 'Infront Moto Racing' im Zuge der Corona-Krise mehrfach erklärte, es könne keine 'Geisterrennen' ohne Zuschauer an der Strecke geben. Aber das geplante Rennen in der Türkei wird ein Geisterrennen sein, auch wenn es offiziell nicht so heißt. Wer sich an einem Mittwoch den Besuch eines Motocrossrennens in Kegums oder Lommel leisten kann, bleibt ebenfalls noch abzuwarten.

Triple-Events wie in Kegums und Lommel oder Doppel-Events wie in Italien tragen sicherlich zur angestrebten Kostensenkung bei, sind aber nicht nachhaltig. Der Promoter erspart sich die Auf- und Abbaukosten der Infrastruktur. Die Teams sparen die Fahrtkosten zu den Rennen. Hotels sind in Lettland günstig.

Aber die Fans in Deutschland, Tschechien und Skandinavien gehen trotzdem leer aus. Der Talkessel wäre nach Angaben der Organisatoren selbstverständlich für Rennen ohne Zuschauer offen gewesen. Sie hätten die permanente Rennstrecke dafür zur Verfügung gestellt. Man kann davon ausgehen, dass das auch für die meisten anderen Organisatoren gilt.

Livestream und TV-Übertragung sind nicht kostendeckend, so heißt es. Doch das Abosystem von MXGP-TV.com hat Lücken. Es ist allgemein bekannt, dass ganze Internet-Communities verteilt über den Globus die Liveübertragungen der WM-Rennen mit einem einzigen Account anschauen. Die Eintrittsgelder für die WM-Läufe sind inzwischen aber so hoch, dass die meisten Abo-Betrüger dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Zugänge werden teilweise ganz offen über soziale Medien viral verteilt. Man wird ausgelacht, wenn man sich als 'zahlender Abonnent' outet. Das ist so, wie wenn ein Veranstalter seine Strecke nicht umzäunen könnte und alle Besucher an den Kassen vorbei auf die Strecke strömen ohne Eintritt zu bezahlen. Ein Veranstalter könnte sich so etwas niemals leisten, der Promoter schon. Er ist seit Jahren nicht in der Lage, dieses Problem der Vermarktung seiner digitalen Inhalte zu lösen.

Der Promoter sichert sich allerdings an anderer Stelle wirtschaftlich wasserdicht ab und überträgt etwaige unternehmerische Risiken an die Organisatoren, die aber in der Mehrheit nicht unternehmerisch sondern ehrenamtlich handeln. Auch die Teams und sogar die Fahrer übernehmen Risiken, besonders dann, wenn sie verletzt ausfallen.

Entgangene Einnahmen aus Streaming-Abos werden aber vom Promoter unter den Teppich gekehrt. Nicht realisierte Einnahmen aus TV-Rechten wurden bisher vertuscht und kamen überhaupt erst durch die Corona-Krise zum Vorschein. Bis zur Corona-Krise verkaufte der Promoter sein Produkt mit «weltweiter TV-Medienpräsenz», um die Gebühren für Bandenwerbung, Veranstalter, Teams und Fahrer in die Höhe zu treiben. Jetzt kommt heraus, dass diese TV-Rechtevergabe alles andere als kostendeckend war, ja teilweise sogar unentgeltlich weitergereicht wurde. «Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul», sagten sich die Eurosports & Co. Eine kostenlos zur Verfügung gestellte Produktion im Pay-TV (Eurosport 2) zeigen zu können, ist kein schlechter Deal, aber eben nur für den Sender. Bezahlt haben dieses fragwürdige Modell die zahlenden Besucher an den europäischen Tageskassen, die Teams und sogar die Fahrer selbst.

Hätte man seitens des Promoters die Corona-Zwangspause genutzt, das drängende Problem der Vermarktung der eigenen digitalen Inhalte anzugehen, wären auch die Perspektiven für mögliche Rennen an attraktiveren Venues gegeben, mit oder ohne Zuschauer. Ein spannendes Geisterrennen mit vollen Fahrerfeldern auf spektakulären Strecken wie Sverepec in der Slowakei, um ein beliebiges Beispiel zu nennen, wäre allemal besser für den Sport als ein Geisterrennen auf einer eilig zusammengeschobenen Retortenstrecke in der Türkei mit 15 Fahrern am Gatter.

In der Türkei gilt der Grand Prix für den Promoter als finanziell abgesichert, weil er von der Regierung subventioniert ist. Werke und Teams haben dadurch viel höhere Kosten, aber sie nehmen das unwidersprochen hin. Zur Erinnerung: Mit den Kosten für ein Überseerennen können 4 (!) Rennen in Europa bestritten werden. Das sagt Teambesitzer Jacky Martens, der lange genug dabei ist und weiß, wovon er spricht.

Nachhaltige Kostensenkung wäre das Gebot der Stunde, nicht nur in der Corona-Krise, sondern auch für die Zeit danach. Es gibt jetzt auch gute Ansätze. Die leidigen Qualifikationsrennen werden hoffentlich auch künftig entfallen. Wir haben sie an dieser Stelle oft genug kritisiert. Hoffentlich bleibt das auch nach der Krise so.

Wer braucht überdimensionale aber leere Luxus-Hospitalities vor riesigen Trucks im Paddock? Die MX2-Werksteams von KTM und Yamaha sind nach Dalecín und Kaplice mit zwei Sprintern angereist und es ging auch.

Wenn ein Manager eines asiatischen Sponsors wegen etwaiger Quarantänebestimmungen nicht nach Europa einreisen kann, dann ist das eben so. Dann muss er sich die Rennen von zu Hause im Livestream ansehen. Und wenn er mit seinem Team oder Fahrern sprechen will, dafür gibt es heutzutage Facetime, Skype, Zoom, Messenger, WhatsApp... Die Show auf der Strecke machen doch Gajser, Herlings, Cairoli, Seewer, Febvre, Paulin und noch ein paar andere Stars der Szene - alles Europäer, für die die gleichen Quarantäneregeln gelten.

Die Krise beinhaltet die Chance, Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu korrigieren. Ein «weiter so» ist der falsche Weg.

Der WM-Tross sollte sich von unnötigem Ballast befreien, angefangen von teuren und langweiligen Überseerennen bis zu den Trucks. Die Produktion medialer Inhalte wie Livestream oder TV-Content sollte so verbessert werden, dass die Fans einerseits ein attraktives Angebot erhalten, aber andererseits auch Schlupflöcher für sich viral ausbreitende Trittbrettfahrer-Accounts geschlossen werden. Das ist kein Hexenwerk, das können andere auch. Aber das Wichtigste: Mit spannenden Rennen, vollen Fahrerfeldern auf spektakulären Strecken wird auch ein Produkt geschaffen, das sich medial auch kostendeckend vermarkten ließe. Mit Geisterrennen in der Türkei oder Mittwochsrennen in Kegums wird das möglicherweise schwierig.

Schuldzuweisungen helfen dabei nicht weiter. Alle Beteiligten, FIM, Promoter, Organisatoren, die Werke, die Teams und nicht zuletzt die Fahrer und Medien sollten zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten. Ideen gibt es viele. Einige von ihnen sind schon erfolgreich umgesetzt - wie das Beispiel der tschechischen Motocrossmeisterschaft zeigt. Alte Zöpfe müssen auch einmal abgeschnitten werden. Das gilt nicht nur für den Promoter, sondern auch für die Werke und die Teams, was ein Blick ins Fahrerlager eindrucksvoll demonstriert. Letztendlich verfolgen ja alle das gleiche Ziel: Einen spektakulären Sport nach vorn zu bringen. Das erfordert ein Miteinander, kein Gegeneinander. Die Krise wäre ein perfekter Anlass, das einmal zu probieren.

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