Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Der Strassenkurs von Baku: Die extremste GP-Strecke

Von Rob La Salle
Rob Smedley (rechts) 2018 in Baku mit Robert Kubica

Rob Smedley (rechts) 2018 in Baku mit Robert Kubica

​Eine lange Gerade, auf welcher die Autos fast 350 km/h schnell sind, enge Passagen durch die Altstadt, Wind, eine Pistenoberfläche, die Kopfschmerzen erzeugt – Baku ist die extremste Strecke.

Der Strassenkurs von Baku macht den Formel-1-Technikern Kopfschmerzen. Nick Chester, Chassis-Chef bei Renault, erklärt: «Baku ist wie drei Kurse in einem. Der erste Teil mit diesen 90-Grad-Kurven ist ein wenig wie Sotschi. Der Mittelteil ist Monaco. Der letzte Teil ist mit seiner langen Gerade wie Montreal. Diese Kombination verschiedener Kurven ist überaus anspruchsvoll für die passende Abstimmung. Idealerweise würdest du auf diesen drei Strecken ganz unterschiedliche Abtriebswerte fahren. Also machst du laufend Kompromisse.»

Rob Smedley, langjähriger Techniker bei Ferrari und Williams, vertieft: «Baku ist die extremste Grand-Prix-Strecke von allen. Die lange Gerade zwingt sich dazu, die Flügel verhältnismässig flach zu stellen. Aber wenn du Front- und Heckflügel steiler stellst, um in den langsamen Passagen schneller zu sein, bist du auf der Geraden Freiwild. Wenn wir die Strecke von Kurve 16 bis zu Kurve 1 messen, dann fahren die Autos hier zwei Kilometer lang Vollgas. Den letzten Linksknick können wir als Kurve getrost vergessen. Nicht mal in Belgien wird von La Source bis Les Combes so lange Gas gegeben, dort kommst du auf ungefähr 1,6 Kilometer volle Kanne.»

«Am liebsten würdest du als Techniker hier mit Flügelniveau Monza fahren, aber dann würdest du im engen Pistenteil zu viel Zeit einbüssen. In der Altstadt brauchst du im Grunde Flügeleinstellungen wie in Monte Carlo. Die grosse Kunst besteht nun darin, den richtigen Kompromiss zu finden. Aber eine Patentlösung hat keiner.»

Wie also gehen die hellsten Köpfe der Branche mit dieser Knacknuss um? Der 45jährige Smedley weiter: «Es klingt ein wenig simpel, aber du musst herumpröbeln. Du spielst nicht nur mit den Anstellwinkeln der Flügel und Flaps, sondern du experimentierst auch mit der Bodenfreiheit, mit Federn und Dämpfern. Auf der Geraden willst du einen Wagen, der an der Hinterachse möglichst niedrig liegt, um wenig Luftwiderstand zu erzeugen.»

«Aber du kannst den Wagen nicht nur auf wenig Luftwiderstand trimmen. Denn du musst das Auto auch so abstimmen, dass der Fahrer möglichst viel Vertrauen bekommt. Das geht nicht, wenn das Heck zu lebhaft ist. Für einen Strassenkurs hat die Faustregel Gültigkeit: Ohne Vertrauen ins Auto wird dein Fahrer keine schnelle Runde drehen.»

«Wenn auf solch einem Kurs nur einmal im Jahr gefahren ist, baut sich besonders zu Beginn so gut wie keine Reifenhaftung auf. Die Piste ist schmutzig und ohne Reifengummi. Du musst dich Schritt um Schritt ans richtige Abtriebsniveau herantasten. Du beginnst mit zu steil gestellten Flügeln, um dem Piloten ein gutes Gefühl zu geben. Dann nimmst du Schritt um Schritt Flügel raus, dazu kommt mit mehr Fahrbetrieb mehr Gummi auf die Bahn. Du sagst zu deinem Fahrer: ‘Also gut, wir gehen mit den Flügeln runter, dafür bist du auf der Geraden schneller.’ Der Pilot muss sich mit dieser stufenweisen Verringerung wohlfühlen. Das Schlimmste, was dir passieren kann: Dass der Fahrer das Selbstvertrauen einbüsst. Das alles ist eine heikle Aufgabe, die vom Ingenieur nicht nur technisches Wissen voraussetzt, sondern auch menschliches Fingerspitzengefühl.»

«Baku ist nicht der einzige Kurs, der die Techniker vor Rätsel stellt. Auch in Spa-Francorchamps und Monza sind Kompromisse gefragt. Baku ist jedoch die erste Strecke in diesem Jahr, bei welcher die Aufgabe so knifflig ist. Die besser vorbereiteten Rennställe werden hier neue Heckflügel haben. Diese Flügel werden wir mit grösster Wahrscheinlichkeit in Montreal und Spa-Francorchamps wiedersehen.»

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