Schlechtes Vorbild: Gefährliche Unvernunft in Amerika

Von Günther Wiesinger
Solche Szenen am Circuit of the Americas bei Austin werden wir so bald nicht sehen

Solche Szenen am Circuit of the Americas bei Austin werden wir so bald nicht sehen

​In vielen grossen Motorsportnationen – wie in den USA, in Australien oder Brasilien – wird die Coronakatastrophe weiter nicht ernst genug genommen. US-Präsident Donald Trump rechnet mit 100.000 Toten.

Seit mehr als vier Wochen kämpft Italien mit allen verfügbaren Kräften gegen die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie. Bisher ist keine Abschwächung der Infektionszahlen in Sicht. In vielen Ländern wächst die Besorgnis, von Australien bis Brasilien, selbst Indien hat schon Ausgangsbeschränkungen verhängt.

Während die USA auf eine humanitäre Katastrophe zusteuern, darf man in etlichen europäischen Ländern auf eine Eindämmung des SARS-CoV-2-Viruses hoffen. Österreich rechnet damit, dass der Höhepunkt der Fallzahlen zwischen Mitte April und Mitte Mai erreicht wird; danach könnten die Maßnahmen schrittweise gelockert werden.

Ob man deshalb auf eine Rückkehr zur Normalität im Frühsommer hoffen darf, lässt sich schwer einschätzen. Kein einziger Experte wagt vorläufig eine Prognose, es liegen noch nicht genug faktenbasierte Daten vor. Jene aus China sind nicht exakt verwertbar, denn hierzulande sind derartig autokratische und militärische Maßnahmen nicht vorstellbar.

Deshalb werden die vernünftigen Politiker nicht müde, an die Vernunft der Bevölkerung zu appellieren: «Bleibt daheim.»

In Österreich hat Bundeskanzler Sebastian Kurz soeben verkündet: «Ab Mittwoch werden alle Supermärkte am Eingang kostenlos Gesichtsmasken verteilen, die dann verpflichtend beim Einkauf getragen werden müssen. Das ist eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme als Ergänzung zum Abstandhalten.» Die Bundesregierung wird die Masken auf dem Weltmarkt beschaffen; Semperit kann sie im Werk in Malaysia herstellen.

Unterdessen gehen wir weiter hartnäckig der Frage nach, wann die Beteiligten in den verschiedenen Motorsport-Rennserien wieder mit Wettbewerben rechnen.

«Ich hoffe auf den Sommer», sagt Jürgen Lingg, Teammanager bei Liqui Moly Intact-GP, dem Moto2-Rennstall von Tom Lüthi und Marcel Schrötter. «Selbst wenn es erst im August oder September losgehen könnte, wären noch einige Veranstaltungen theoretisch möglich. In China läuft es jetzt nach einem Vierteljahr zumindest langsam wieder an. Es ist noch zu früh, jetzt darüber zu spekulieren, wann bei uns wieder Entwarnung gegeben werden kann. Ich denke, jetzt muss sich die Situation zuerst mal deutlich entspannen.»

«Meine Hoffnung ist, dass wir immer noch eine ‚richtige’ Weltmeisterschaft zustande bringen», sagte Aki Ajo gestern im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «In dieser außergewöhnlichen Situation spielt es keine Rolle mehr, ob wir einen Monat früher oder später wieder loslegen.»

Aki Ajo ist nur ein Beispiel für alle Beteiligten, denn er hoffte vor zehn Tagen noch auf einen Neustart im Mai oder zumindest Juli.
Aber auch die meisten Politiker und Gesundheitsbehörden müssten ihre Meinungen in den letzten Wochen täglich revidieren.

Und es kann sich jeder glücklich schätzen, der in einem Land lebt, in dem die Gesundheitsvorsorge nicht kaputtgespart wurde und in dem vernünftige Hygienevorschriften herrschen.

Bisher lässt sich nicht vorhersagen, wann die Reiseverbote in Europa und im Rest der Welt wieder gelockert werden. Und wann dann wieder Risikosportarten mit Zuschauern veranstaltet werden dürfen.

Wann wird welches Land wieder Tourismus erlauben?

Inzwischen ist der rechtspopulistische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro vom Gericht verurteilt worden: Er darf nicht mehr behaupten, für die «starken Brasilianer» stelle der Virus keine Gefahr dar. Und in den Millionen-Metropolen wie Rio und São Paulo treffen die Lokalpolitiker jene strengen Vorsorgen, zu der die Regierung in Brasilia nicht bereit ist. Noch Mitte letzter Woche bezeichnete Jair Bolsonaro die Pandemie, die inzwischen weltweit 764.866 Menschen angesteckt und 36.864 Todesopfer gefordert hat, als «kleine Grippe», als «gripinha».

Sein Amtskollege in Mexiko, Andrés Manuel López Obrador, küsste demonstrativ vor wenigen Tagen noch Dutzende Menschen ab, darunter wehrlose Babys. 

Wenn in riesigen Ländern wie Brasilien, Mexiko und in den USA nicht bald gegengesteuert wird, muss man sich in Europa Sorgen machen, denn dann wird die Weltwirtschaft einen Einbruch erleiden, dessen Ausmaß sich bisher niemand vorstellen kann.

Donald Trump sagte vor 33 Tagen angesichts von 15 infizierten Amerikanern, dieser Virus werden in zwei Wochen verschwunden sein. Aktuell melden die USA 152.631 Infizierte und 2817 Tote.

In Großstädten wie New York, New Orleans (dort wurde vor wenigen Wochen noch fröhlich Karneval gefeiert), Los Angeles und Chicago steigen die Fallzahlen dramatisch an. Sie verdreifachten und verfünffachten sich innerhalb einer Woche.

Der US-Regierungschef kündigte am Freitag an, er werde alle Maßnahmen zu Ostern lockern oder gar beenden. Gestern um Mitternacht trat er bei der fast täglichen Pressekonferenz erstmals im «Rose Garden» auf, um Distanz zu schaffen, er wurde nicht mehr im Zentimeterabstand von seinen Beratern sowie Vizepräsident Mike Pence umzingelt.

Trump wirkte eine Spur einsichtiger als letzte Woche. «Man hat mir gesagt, wir müssten in den Vereinigten Staaten mit 2,2 Millionen rechnen, wenn wir keine Vorkehrungen treffen. Wir verlängern deshalb die Ausgangsbeschränkungen bis Ende April. Vielleicht auch noch bis Ende Mai. Dann können wir die Anzahl der Todesopfer auf 100.000 senken. Das wäre gut.»

Unzählige Bürgermeister und Gouverneure senden verzweifelte Hilferufe aus. «In einer Woche haben wir keine medizinischen Hilfsgüter mehr.»

Trump entgegnete: «Man kann die gebrauchten Masken desinfizieren und bis zu 25 Mal verwenden.»

In New York werden dringend 30.000 Beatmungsgeräte benötigt. Es geht um Leben und Tod. Kühltransporter kommen mit dem Wegschaffen der Leichen nicht mehr nach.

Die Lagerbestände an medizinischen Hilfsmitteln sind offenbar in den ganzen USA aufgebraucht.

Die meisten Ausländer verlassen fluchtartig das Land. Auch solche, die seit 20 Jahren dort leben.

In Europa wurde umsichtiger gehandelt. Der Genfer Autosalon wurde bereits am 28. Februar abgesagt. Und durch die dann folgenden rigorosen Maßnahmen wurde Zeit gewonnen, um die Anzahl der Spitalbetten zu erhöhen, Medizingüter herbeizuschaffen, das Pflegepersonal zu schulen und die Zahl der Intensivbetten zu erhöhen.

Jetzt müssen wir nur Geduld haben, Abstand halten und vernünftig sein. Es gibt genug Länder, in denen der Leichtsinn weiter grassiert, zum Beispiel in Australien.

Es ist zwar nebensächlich, aber leider regiert der Leichtsinn noch in vielen Ländern, die im Motorsport eine maßgebliche Rolle spielen.

Es ist deshalb zu befürchten, dass wir uns Reisen zu Grand Prix in Amerika, Mexiko, Brasilien, Australien und so weiter zumindest für 2020 aus dem Kopf schlagen müssen.

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