Formel 1: Hartes Urteil nach Fehler

Einzelkämpfer und Legende: Zum Tod von Jochen Mass

Von Gerhard Kuntschik
Der langjährige Formel-1-, Touren- und Sportwagen-Pilot Jochen Mass ist am heutigen Sonntag gestorben. Der frühere Werksfahrer von Ford, Porsche und Mercedes schlief friedlich zuhause ein. Er wurde nur 78 Jahre alt.

Es war im August 2022. Porsche feierte 40 Jahre Gruppe C. Im Zentrum Leipzig, mit den wohl behüteten 956 und 962 aus dem Museum und drei Protagonisten der damaligen Lenkradhelden: Mit Derek Bell, Hans-Joachim Stuck und Jochen Mass neben dem ehemaligen «Youngster» Bernd Schneider sowie dem Markenbotschafter Timo Bernhard.

Jochen hatte von allen die größten Probleme, in die engen Cockpits zu kommen. Aber er hatte Spaß daran. Und drehte seine Runden.

Jochen Mass, deutscher Formel-1-Pilot in einer Dekade, als schwere Unfälle an der Tagesordnung waren, war ein Einzelkämpfer. Obwohl er die längste Zeit seiner Karriere mit und gegen Stuck nebst vielen anderen unterwegs war. Der aus Dorfen in der Nähe Münchens gebürtige, aber in Frankenthal bei Ludwigshafen aufgewachsene Mass verlor als Achtjähriger seinen Vater.

Ein Internat in Mannheim verließ er vorzeitig, um zur Handelsmarine zu gehen. Durch eine Freundin interessierte er sich für Motorsport, begann in der Rennabteilung eines Alfa-Händlers. Nach den Anfängen im Tourenwagen war der Gewinn der Deutschen Rundstreckenmeisterschaft 1971 auf einem Ford Capri der erste große Erfolg. Im Formel-V-Europapokal wurde er nur vom Wiener Erich Breinsberg geschlagen.

Ab 1972 ging es in der Formel 2 weiter, 1973 eroberte er den Vizetitel in einem Surtees hinter Jean-Pierre Jarier. Das ermöglichte ihm das (kurze) F1-Debüt im britischen GP in Silverstone, das in der von Jody Scheckter verursachten Massenkarambolage endete. Im deutschen GP wurde er schon – vom 15. Startplatz weg – Siebter, jeweils im Surtees-Team. 1974 war wenig erfolgreich. Zuerst zerstritt sich Carlos Pace mit dem eigenwilligen Surtees, dann auch Mass. Der Brasilianer wechselte zu Brabham, der Deutsche zu McLaren. Wochen später verunglückte Mass-Nach-Nachfolger Helmut Koinigg im Surtees in Watkins Glen tödlich.

Mass’ Zeit bei McLaren verlief durchwachsen, er stand im Schatten von Emerson Fittipaldi und später James Hunt. Als im April 1975 im spanischen GP auf dem Montjuïc-Kurs in Barcelona der führende Rolf Stommelen (Hill-Ford) wegen eines gebrochenen Heckflügels schwer verunglückte und dabei vier Zuschauer bzw. Streckenposten zu Tode kamen, wurde Mass bei Abbruch zum Sieger erklärt – mit halben Punkten.

ATS, Arrows und RAM-March waren seine Stationen von 1978 bis 1982 (samt einer Auszeit 1981), allesamt Teams ohne Siegchancen. Ein Missverständnis zwischen Mass und Ferrari-Star Gilles Villeneuve führte zum verheerenden Unfall im Training in Zolder, bei dem der Kanadier tödlich verletzt wurde. Mass war auf einer Auslaufrunde, Villeneuve auf einer schnellen und deutete die Situation falsch. Der französische GP in Le Castellet im Juli 1982 war Mass‘ letztes F1-Rennen. Nach 105 Starts mit einem Sieg, acht Podestplätzen und 71 Punkten war Schluss.

Schon in den 1970ern war Mass auch für Porsche in der Sportwagen-WM dabei, feierte 1976 bis 1978 elf Siege. Es folgte eine erfolgreiche Zeit im Sportwagen, die aber tragisch begann: Im Team von John Fitzpatrick sollte Mass das IMSA-Rennen in Riverside 1983 fahren, sagte aber ab. Für ihn sprang Rolf Stommelen ein, der dort wiederum wegen eines gebrochenen Flügels verunfallte und starb.

Von 1982 bis 1984 gelangen Jochen im 956 sechs Siege im Werksteam bzw. für Joest. Drei weitere folgten 1985 im neuen 962, 1987 erreichte er im Team von Walter Brun drei Podestplätze.

Ab 1988 war Mass Teil des Sauber-Teams, das immer mehr die neue Mercedes-Speerspitze im wiederentdeckten Rennsport wurde. Höhepunkt war der Sieg in Le Mans 1989 mit Manuel Reuter und Stanley Dickens. 1990 und 1991 war Mass im Sauber-Mercedes «Fahrlehrer» der neuen Junioren Wendlinger, Schumacher und Frentzen. In der Fahrer-Wertung ergab das die Plätze 3 bzw. 7.

In den 1990er-Jahren war Mass zeitweise F1-Kommentator für RTL und trat forthin immer wieder bei Oldtimer-Veranstaltungen an.

Vor einigen Wochen erlitt der längst in Südfrankreich lebende Mass einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Seine finanziellen Verhältnisse waren schlecht. Eine Sammelaktion alter Kollegen konnte nicht mehr realisiert werden. Eine bevorstehende Operation erlebte er nicht mehr: Jochen schlief am 4. Mai friedlich zuhause ein. Er wurde nur 78 Jahre alt.

«Es machte mich immens traurig, als ich von seinem Ableben erfuhr», schildert Hans-Joachim Stuck, «wir haben doch so viel gemeinsam erlebt. Jetzt fehlt uns einer mehr aus der alten Garde.» Und Peter Reinisch, langjähriger Teammanager bei Schnitzer, Brun und Rosberg, befand: «Mit dem Jochen ging eine Legende der großen Sportwagenzeit von uns.»

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