Jolyon Palmer: Deshalb darf Lando Norris hoffen

Lando Norris
Nach der folgenschweren Fehleinschätzung von Lando Norris im Grand Prix von Kanada, haben einige GP-Beobachter den Briten bereits von der Liste der möglichen Titelkandidaten gestrichen. Nicht so Jolyon Palmer, der in seiner Kolumne auf «Formula1.com» mit Blick auf den Crash zwischen den McLaren-Piloten zum Schluss kommt: «Das war ein weiterer Rückschlag, aber die WM ist noch lange nicht entschieden.»
Norris war in Montreal generell der schnellere der beiden McLaren-Stars, betont der frühere GP-Pilot. Sowohl in den Trainings als auch in den ersten beiden Quali-Segmenten war der WM-Zweite in der Lage, konkurrenzfähige Rundenzeiten in den Asphalt des Circuit Gilles Villeneuve zu brennen. «Doch alles änderte sich, als der Druck grösser wurde.»
«Beim Versuch, eine Pole-Runde zu schaffen, vertat er sich bei seiner ersten schnellen Q3-Runde auf neuen Reifen in der Schikane und beim zweiten Umlauf auf frischen Walzen untersteuerte sein Auto ausgangs der siebten Kurve. Dadurch hatte er keine Chance auf eine respektable Ausgangsposition fürs Rennen», erklärt Palmer.
«Mir scheint, dass er sich in den entscheidenden Momenten schwer tut, den Druck auszuhalten», ergänzt der 34-Jährige, und stellt klar: «Auch im Rennen war er der schnellere McLaren-Pilot, er schaffte es, sich von Startplatz 7 in Schlagdistanz zu seinem Teamkollegen zu bringen, der seinerseits von Startplatz 3 eines seiner schwächeren Rennen zeigte.» Dabei ging es nicht um viele Punkte, und auch nicht um einen Podestplatz, denn Piastri war Vierter, als Norris sich mit ihm anlegte.
«Es gab nicht viel Grund, ein grosses Risiko einzugehen», weiss Palmer, der aber auch einräumt: «Es fühlte sich dennoch an, als wäre es wichtig, dass Norris an Oscar vorbeikommt. Das hätte ihm vier Punkte auf seinen Teamkollegen und – was noch viel wichtiger ist – viel Selbstvertrauen gebracht.» Doch Piastri ist ein grossartiger Verteidiger in Rad-an-Rad-Duellen, dies hat der Australier schon mehrfach bewiesen.
Auch in Kanada liess er sich nicht übers Ohr hauen und platzierte sein Auto genau richtig, um die Position zu halten, als Norris in der letzten Schikane angriff. Das anschliessende Manöver, das zum Crash führte, sei Norris’ letzte Chance gewesen, erklärt Palmer. «Für mich wirkte es deshalb wie ein verzweifelter letzter Versuch, als er eine Lücke suchte, wo keine war, und sich damit ein gutes Rennen ruinierte. Von aussen betrachtet sieht es nach einem etwas tollpatschigen Fehler eines Titelkandidaten aus. Aber im Cockpit spielt sich alles sehr schnell ab.» Norris habe 66 Rennrunden auf diese Chance gewartet, ist er sich sicher.
Obwohl der Crash alle Chancen von Norris auf frische Punkte zunichte gemacht hatte, besteht für seinen 25-jährigen Landsmann Grund zur Hoffnung, betont Palmer. «Er hat gezeigt, welche Risiken er im Kampf gegen seinen Teamkollegen einzugehen bereit ist und er hat auch bewiesen, dass das Spitzenduell für die restliche Saison hart ausfallen wird. Ein Hoffnungsschimmer für ihn ist das gute Tempo, das er vor dem Crash hatte. Das Rennen in Kanada wirkte wie sein bisher bester Auftritt in diesem Jahr, und das dürfte ihm etwas Selbstvertrauen verschaffen. Es ist nur so, dass er in den Momenten, in denen der Druck gross ist, offenbar zu viele Fehler macht.»
Norris habe aber auch schon gezeigt, dass er es kann – etwa beim letztjährigen Saisonfinale in Abu Dhabi, als es um den Konstrukteurspokal ging, oder im Qualifying von Monte Carlo, in dem er sich die Pole gesichert hat. «Er muss nur wieder Schwung holen», ist Palmer überzeugt.
Kanada-GP, Circuit de Gilles Villeneuve
01. George Russell (GB), Mercedes, 1:31:52,688 h
02. Max Verstappen (NL), Red Bull Racing, +0,228 sec
03. Kimi Antonelli (I), Mercedes, +1,014
04. Oscar Piastri (AUS), McLaren, +2,109
05. Charles Leclerc (MC), Ferrari, +3,442
06. Lewis Hamilton (GB), Ferrari, +10,713
07. Fernando Alonso (E), Aston Martin, +10,972
08. Nico Hülkenberg (D), Sauber, +15,364
09. Esteban Ocon (F), Haas, +1 Runde
10. Carlos Sainz (E), Williams, +1
11. Oliver Bearman (GB), Haas, +1
12. Yuki Tsunoda (J), Red Bull Racing, +1
13. Franco Colapinto (RA), Alpine, +1
14. Gabriel Bortoleto (BR), Sauber, +1
15. Pierre Gasly (F), Alpine, +1
16. Isack Hadjar (F), Racing Bulls, +1
17. Lance Stroll (CDN), Aston Martin, +1
18. Lando Norris (GB), McLaren, + 4 *
* ausgeschieden (Unfall), aber aufgrund der zurückgelegten Distanz gewertet
Out
Liam Lawson (NZ), Racing Bulls, Aufgabe
Alex Albon (T), Williams, Motorschaden
WM-Stand (nach 10 von 24 Grands Prix und 2 von 6 Sprints)
Fahrer
01. Piastri 198 Punkte
02. Norris 176
03. Verstappen 155
04. Russell 136
05. Leclerc 104
06. Hamilton 79
07. Antonelli 63
08. Albon 42
09. Ocon 22
10. Hadjar 21
11. Hülkenberg 20
12. Stroll 14
13. Sainz 13
14. Gasly 11
15. Tsunoda 10
16. Alonso 8
17. Bearman 6
18. Lawson 4
19. Bortoleto 0
20. Colapinto 0
21. Doohan 0
Konstrukteurspokal
01. McLaren 374 Punkte
02. Mercedes 199
03. Ferrari 183
04. Red Bull Racing 162
05. Williams 55
06. Haas 28
07. Racing Bulls 28
08. Aston Martin 22
09. Sauber 20
10. Alpine 11