Zandvoort 1975: Hunt/Hesketh schlägt Lauda im Ferrari
Als Alexander Fermor-Hesketh, der dritte Lord Hesketh, in die Formel 1 einstieg, kräuselte die britische GP-Oberschicht die Oberlippe: Was wollen diese Clowns hier? Die Antwort war ein Schock.
Hesketh Racing, eine Truppe von Querdenkern, welche die GP-Oberschicht vom ersten Tag an tüchtig das pomadige Haar zerzausten, eine Mannschaft von Leuten, die scheinbar mit Geld um sich warfen, angeführt von einem blutjungen Lord, im Auto ein Haudegen mit Ruf von Kaltverformung zahlreicher Rennautos und zum Tieferlegen noch zahlreicherer Damen, der Firmensitz ein edles Anwesen, Team-Mitglieder, die sichtlich mit Spass an der Arbeit waren und unübersehbar lachten – gute Güte, wo soll das alles noch enden?
Hesketh ging den etablierten Rennställen so tüchtig auf den Wecker, mit frischen Ansätzen, wie später Benetton oder Red Bull Racing. Hier waren Männer (und Frauen) am Werk, die scheinbar völlig unbekümmert in den Tag hinein werkelten, aber hinter der Fassade aus Hubschrauber, Yachten und Gästebereichen, in welchen der edle Saft aus der Champagne floss, steckten Fachleute mit einem diamantharten Willen zum Erfolg. Das Establishment brauchte eine Weile, um das zu erkennen.
Hesketh ist längst zum Kult geworden, noch heute laufen bei Formel-1-Rennen der Gegenwart Fans in Hesketh-Shirts herum. Kein Wunder, denn der rasante Aufstieg des «grössten kleinen Renn-Teams der Welt», wie Hesketh seine Truppe selbstironisch nannte, ist bis heute einzigartig.
Die Formel 1 war in den frühen 70er Jahren an einer Weggabel angekommen. Bernie Ecclestone versuchte, aus der bunt zusammengewürfelten Truppe einen einheitlichen Zirkus zu machen, der Sport wurde professioneller, aber zum Glück war noch viel Raum für Individualität.
Die Rennwagen wurden zu den schnellsten Werbetafeln der Welt, die Rennstallbesitzer versuchten, die rasant steigenden Kosten mit dem Geld von Sponsoren auszugleichen.
Ein patriotischer Adeliger, 22 Jahre alt, wollte ein gewisses Gleichgewicht wiederherstellen. So gut wie keine Sponsoren. Stattdessen ein weisses Auto, privat finanziert.
Im Rennwagen jener James Hunt aus England, dem die Medien nach einigen Ausflügen in die Botanik den wenig schmeichelhaften Titel «Hunt, the Shunt» (Hunt, der Unfall) verliehen hatten.
Hesketh und Hunt fanden früh zusammen, waren einander sofort sympathisch, murksten gemeinsam in der Formel 3 herum, es folgte ein kurzer Abstecher in die Formel 2, aber zu diesem Zeitpunkt kam die Einsicht: Wenn schon Geld verbrauchen, wieso dann nicht gleich auf der ganz grossen Bühne?
Und so trat Hesketh nach einem Aufstieg im Zeitraffer tatsächlich bereits in der Formel 1 auf, mit einem Rennwagen von March, eroberte im zweiten WM-Lauf Punkte (Frankreich 1973) und hätte am Ende des Jahres um ein Haar den Grossen Preis der USA gewonnen (Rang 2 hinter Ronnie Peterson im Lotus).
Alexander Hesketh schaffte es, eine Schar herausragender Einzelkämpfer zu einer Mannschaft zu formen: Angefangen mit seinem Freund Bubbles Horsley, über Designer Harvey Postlethwaite, Ingenieur Nigel Stroud, Chefmechaniker Dave «Beaky» Sims, am Lenkrad der Frauenversteher James Hunt, vor dem Rennen nervös wie ein Rennpferd, da zog sich der Brite schon mal in eine stille Ecke zurück, um sich seines Mageninhalts zu entleeren.
Die etablierten Rennställe verstanden hinten und vorne nicht, wie es Hesketh nach so kurzer Zeit in ihren elitären Kreis schaffen konnte, wieso diese Kerle einen glamouröseren Auftritt hinlegte als sie, wieso diese Truppe ständig so verdammt gute Laune hatte und warum diese lästigen Kerle auch noch erstklassige Racer waren.
Aber Kaviar und Austern mit Champagner, ein Rolls-Royce im Fahrerlager und einfliegende VIP im Hubschrauber mitten ins Fahrerlager, das alles verbarg, wie ernst es dieser Truppe mit dem Formel-1-Sport war, zunächst mit Hunt in einem gekauften March, der bald erheblich modifiziert wurde (der March, nicht der Hunt).
Für die Saison 1974 baute das Team sein eigenes Auto und dies – shocking! – nicht etwa in einer richtigen Rennwagenfabrik, sondern im umgebauten Stallgebäude von Lord Heskeths Anwesen in Easton Neston.
Der Schock sass noch tiefer, als Hunt die International Trophy gewann (ein nicht zur WM zählendes Formel-1-Rennen), einige Male schrammte Hunt 1974 an einem GP-Sieg vorbei.
Die grösste Stunde der Emporkömmlinge schlug dann in den Niederlanden 1975, als James Hunt den Ferrari-Star Niki Lauda bezwang, knapp, aber klipp und klar.
Lauda freute sich für Hunt am meisten, ihre Rivalität war eine Erfindung der Medien, in Wahrheit mochten und schätzten sich die beiden.
Nur im Märchen geht das alles so wunderbar weiter, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende, und so weiter und so fort. Die Wahrheit holte Hesketh brutal ein: Die Finanzen schwanden, zuerst wollte der Lord hochnäsig keine Geldgeber, dann fand er keinen, als er die Moneten gebraucht hätte, um das Auto konkurrenzfähig zu halten.
Es begann ein langer Abstieg, Hunt hatte sich längst zu McLaren abgeseilt und wurde dort 1976 Weltmeister, im Zweikampf mit Niki Lauda im Ferrari, das Team zerbröckelte.
Hesketh Racing hat dank seines einzigartigen Konzepts (mitsamt seines kultigen Teddybär-Logos) die Fantasie von Enthusiasten auf der ganzen Welt beflügelt und ist bis heute einer der einprägsamsten und charismatischsten Namen in der Geschichte der Formel 1.