Lin Jarvis (Yamaha): Die Viñales-Affäre war stressig

Von Günther Wiesinger
Yamaha erlebte in der MotoGP-Saison mit dem Titelgewinn von Fabio Quartararo zahlreiche Highlights. Aber die Trennung von Viñales, der Rückzug von Petronas und Rossi und die Fahrersuche sorgten für Kummer und Stress.

Kein MotoGP-Hersteller hatte in den letzten eineinhalb Jahren so viele Rückschläge zu verkraften wie Yamaha. Zuerst wurde im August 2020 offenkundig, dass beim ersten Jerez-GP im Juli nach dem Lockdown in den Yamaha-Motorrädern von Viñales, Rossi, Quartararo und Morbidelli Ventile eingebaut worden waren, die nicht den Komponenten entsprachen, die in der «sample engine» vor dem Katar-GP 2020 homologiert worden waren. Yamaha wurden deshalb 50 Punkte in der Marken-WM gestrichen, die dadurch an Ducati verloren ging.

Dafür übernahm Maverick Viñales in der vergangenen Saison gleich beim Saisonstart in Doha die WM-Führung, nachher präsentierte sich Fabio Quartararo monatelang in überragender Form, während sich die starken Gegner von Ducati (Zarco, Miller, Bagnaia, Martin, Bastianini) gegenseitig die Punkte wegschnappten.

Danach bahnte sich im Juni bei Yamaha die nächste Unannehmlichkeit an. Viñales erklärte seine schwankenden Leistungen in der fünften Yamaha-Saison damit, die M1 sei nur viermal im Jahr konkurrenzfähig.

Doch Yamaha hatte zu diesem Zeitpunkt innerhalb von 13 Monaten bereits zwölf GP-Siege errungen. Fabio Quartararo war schnurstracks Richtung WM-Titel 2021 unterwegs, er hielt sich lange Zeit mehr als 50 Punkte vor den Verfolgern, er sicherte sich fünf Saisonsiege – und stand bei 18 Rennen 14 mal in der «front row».

Tatsächlich erwirkte Viñales dann bei der Dutch-TT bei Yamaha die Vertragsauflösung per Saisonende.

Damit war der Moto3-Weltmeister von 2013 aber noch nicht zufrieden. Er betrieb beim Steiermark-GP eine Art Arbeitsverweigerung, fuhr drei Tage auf den letzten Plätzen herum und unternahm im Rennen alles, um den M1-Motor gewaltsam ins Jenseits zu befördern.

Das führte zu einer grotesken Entscheidung: Yamaha suspendierte Viñales danach für den Österreich-GP und gab ihn nach einer Vertragsauflösung vor dem Silverstone-GP für den Rest der Saison an Aprilia frei.

Yamaha und Petronas-Yamaha gerieten dadurch in die Bredouille.

Gleichwertiger fahrerischer Ersatz war natürlich mitten in der Saison nicht verfügbar, zumal sich ausgerechnet Vizeweltmeister Franco Morbidelli vor dem WM-Lauf in Assen einer Knieoperation unterziehen musste. Er fiel dann bis Misano Mitte September aus – also fast drei Monate lang.

Petronas setzte Franco dann Ersatzfahrern wie Garrett Gerloff oder Jake Dixon ein, Testfahrer Cal Crutchlow musste ebenfalls ran – sogar im Monster Yamaha Factory Team.

Bei Yamaha musste in dieser Phase ein Problem nach dem anderen gelöst werden. Morbidelli wurde Nachfolger von Viñales, somit war diese Problematik vom Tisch. Aber dann verschärfte sich das Personalproblem, als auch noch Rossi seinen Rücktritt per Saisonende verkündete, damit fehlten beim Kundenteam zwei Fahrer für 2021. Und die andern hoffnungsvollen Stars hatten alle Verträge bis zum Saisonende 2022.

Das SRT-Yamaha-Kundenteam klopfte bei Superbike-Star Toprak Razgatlioglu an und bei Rául Fernández, doch der Türke wollte zuerst einen SBK-Titel gewinnen – und die Saison endete erst am 21. November in Indonesien. Zu spät für MotoGP-Teamprinzipal Razlan Razali, der den neuen World Champion jetzt für 2023 engagieren möchte.

Der nächste Rückschlag: Beim Steiermark-GP sickerte durch, dass sich Petronas nach drei Jahren als Hauptsponsor beim SRT-Team zurückzieht.

Jetzt fehlten dort nicht nur zwei Fahrer, sondern auch noch der «title sponsor».

WITHU sprang rasch ein, als Fahrer für 2022 wurden nach einigem Hin und Her Andrea Dovizioso und Darryn Binder engagiert.

Lin Jarvis, Managing Director von Yamaha Motor Racing, bewegte sich wochenlang im Krisenmodus.

«Das schwierigste und stressreichste Vorkommnis war die Viñales-Affäre», blickt der Engländer im Interview mit SPEEDWEEK.com zurück. «Denn das war ein Vorfall, wie es ihn bisher wirklich nicht gegeben hat. Ich habe in meiner Zeit bei Yamaha noch nie erlebt, dass ein Werksfahrer auf Beschluss des Herstellers suspendiert wurde. Aber unserer Meinung nach blieb uns keine andere Wahl. Dieser Vorgang zog aber sehr vielfältige Konsequenzen nach sich. Was da passiert ist, hat eine Kettenreaktion ausgelöst.»

Jarvis weiter: «Es war sehr wichtig, diese Situation professionell und in Ruhe zu meistern. Denn es war auch das Verhältnis mit dem Team betroffen, mit den Sponsoren, mit den Fahrern und den Ersatzfahrern. Es sind dadurch so viele Dinge auf uns eingestürzt... Das war ein wahrer Domino-Effekt, wie wir ihn vorher noch nie erlebt hatten. Wir haben diese Schwierigkeiten jedoch recht gut bewältigt. Obwohl mir lieber gewesen wäre, wenn das alles nicht passiert wäre.»

Die Nachwirkungen dieses mächtigen Erdbebens hallen auch 2022 nach. Denn das neue WITHU-Yamaha-RNF-Kundenteam, das 2020 noch sechs MotoGP-Siege errungen hat, musste bei der Fahrerwahl Kompromisse eingehen.

Denn das «Junior»-Team wird künftig mit dem bald 36-jährigen Andrea Dovizioso und dem bisher recht sturzanfälligen Moto3-Rennfahrer Darryn Binder aufkreuzen.

«Das ist richtig», schmunzelte Lin Jarvis. «Aber Dovi wird jünger sein als der ältere der beiden Fahrer, den wir in diesem Jahr beim SRT-Team hatten…»

«Wir denken positiv», ergänzte der Yamaha-Stratege. «Probleme schaffen Gelegenheiten. Wir haben schon im Frühjahr mit Andrea Dovizioso gesprochen. Er hat damals sein Interesse ausgedrückt, eine Yamaha zu fahren. Aber wir haben zuerst keine Möglichkeit für eine Zusammenarbeit gesehen. Dann hat sich schlagartig alles geändert. Ich denke, das Dovi ist eine großartige Wahl für Yamaha; es bringt viel Wissen und Informationen mit. Wir haben bei unseren Kundenteam nächstes Jahr einen erfahrenen Piloten und einen echten Rookie unter Vertrag. Die Erfahrungsschatz von Dovi wird wertvoll sein in diesem neu aufgestellten Team, bei dem sich in den letzten Monaten viel verändert hat.»

MotoGP Endstand Fahrer-WM (nach 18 Rennen):

1. Quartararo, 278 Punkte. 2. Bagnaia 252. 3. Mir 208. 4. Miller 181. 5. Zarco 173. 6. Binder 151. 7. Marc Márquez 142. 8. Aleix Espargaró 120. 9. Martin 111. 10. Viñales 106. 11. Bastianini 102. 12. Pol Espargaró 100. 13. Rins 99. 14. Oliveira 94. 15. Nakagami 76. 16. Alex Márquez 70. 17. Morbidelli 47. 18. Rossi 44. 19. Marini 41. 20. Lecuona 39. 21. Petrucci 37. 22. Bradl 14. 23. Pirro 12. 24. Dovizioso 12. 25. Pedrosa 6. 26. Savadori 4. 27. Rabat 1.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati 357 Punkte. 2. Yamaha 309. 3. Suzuki 240. 4. Honda 214. 5. KTM 205. 6. Aprilia 121.

Team-WM:

1. Ducati Lenovo 433 Punkte. 2. Monster Energy Yamaha 380. 3. Suzuki Ecstar 307. 4. Pramac Racing 288. 5. Repsol Honda 250. 6. Red Bull KTM Factory Racing 245. 7. LCR Honda 146. 8. Esponsorama Racing 143. 9. Aprilia Racing Team Gresini 135. 10. Petronas Yamaha SRT 96. 11. Tech3 KTM Factory Racing 76.

 

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