Formel 1: «Darauf kann man nicht stolz sein»

Hintergrund: Die Deals der Werke mit den Kundenteams

Von Günther Wiesinger
Zu Beginn der MotoGP-Ära wurden die Kundenteams von den Werken als lästiges Anhängsel betrachtet. Heute kann ein Team wie Pramac bis zum Finale um den Titel fighten. Was hat sich verändert?

Das Gesicht der MotoGP-WM hat sich seit der Einführung dieser neuen Viertakt-Kategorie im Jahr 2002 stark verwandelt. Im Übergangsjahr 2002 traten ja noch 500-ccm-Zweitakter gegen die 990-ccm-Viertakter an, die drei Zylinder (Aprilia), vier (Yamaha, Suzuki) und fünf Zylinder (Honda) hatten. Und selbst ein erfolgreiches Privatteam wie das Red Bull-Yamaha-Team von Bob McLean und Peter Clifford kam mit einem Jahresbudget von 6 Millionen durch. Heute sind die Kundenteams mit Budgets von 12 bis 15 Millionen ausgestattet; bis zu 7 Millionen im Jahr steuert die Dorna an Zuschüssen bei.  

Nach 2002 wurden die Viertakt-Kundenteams von Honda und Yamaha meist mit Vorjahres-Material ausgerüstet, denn für die Werksteams war eine. Niederlage gegen ein hauseigenes Kundenteam so schlimm wie eine Niederlage gegen ein Konkurrenzfabrikat. Trotzdem kämpfte zum Beispiel das Gresini-MoviStar-Honda-Team mit Fahrern wie Sete Gibernau und Marco Melandri von 2003 bis 2005 dreimal um den WM-Titel und übertrumpfte das Repsol-Honda-Team in diesen drei Jahren dreimal!

Warum passiert das? Weil die Kundenteambesitzer, oft Ex-Rennfahrer wie Agostini, Rainey, Roberts, Pons, Cecchinello (er holte Casey Stoner 2006 in die MotoGP) und Gresini oft ein besserer Gespür für die Qualitäten der Fahrer hatten als die hochnäsigen Schreibtischtäter der Factory Teams. 

Es vergingen viele Jahre, bis einzelne Werke auch den Kundenteams MotoGP-Motorräder des neuesten Jahrgangs anboten – wie zum Beispiel Honda an LCR mit Stefan Bradl 2012 bis 2014 und Gresini mit Álvaro Bautista.

Tech3-Yamaha erhielt hingegen bis Ende 2018 nie eine aktuelle Werksmaschine für Fahrer wie Andrea Dovizioso, James Toseland, Ben Spies, Cal Crutchlow, Pol Espargaró oder Bradley Smith. Nicht zuletzt deshalb wechselte Teambesitzer Hervé Poncharal für 2019 zu KTM.

2024 nur noch vier Fahrer mit 2023-Motorrädern?

Doch irgendwann setzte sich auch bei anderen Werken die Überzeugung durch, die Erfolgschancen würden steigen, wenn in den Satellitenteams zumindest der aussichtsreichere der beiden Fahrer über Werksmaterial verfügt – wie zum Beispiel 2020 Fabio Quartararo bei Petronas-Yamaha oder allmählich auch die Pramac-Truppe bei Ducati. 2021 erhielt Valentino Rossi bei Petronas-Yamaha eine 2021-Werksmaschine; auch KTM unternahm alles, um das Tech3-Team ebenbürtig auszustatten wie das Red Bull KTM Factory Team, doch es klappte während der Saison bei den Technik-Updates nicht immer.

Wenn nächstes Jahr auch die beiden Trackhouse-Aprilia-Fahrer Oliveira und Raúl Fernández mit RS-GP24 ausrücken, werden nur vier 2023-Bikes im Feld sein, nämlich bei Pertamina VR46 Ducati (Bezzecchi, Di Giannantonio) und bei Gresini Racing (Alex und Marc Márquez).

Eigentlich hat die Dorna für die Leasinggebühren pro Fahrer und Team eine maximale Leasinggebühr von 2,2 Millionen Euro vorgeschrieben. Aber die Teams haben Verhandlungsspielraum mit ihren Motorradlieferanten. Wenn ein sehr wohlhabendes Privatteam wie damals Petronas-Yamaha ein aktuelles Werksbike für einen Topfahrer haben will, kann individuell mit dem Werk verhandelt werden. Und die Leasingraten für ein 2024-Motorad sind natürlich deutlich höher als für ein gebrauchtes 2023-Bike. Und es ist noch nicht lange her, als sogar zwei Jahre alte MotoGP-Maschinen verleast wurden.

Den rührigen Dorna-Managern wäre es ja am liebsten, wenn jedes Werk ein Kundenteam ausrüstet. Aber Yamaha hat keines, Ducati gingen drei.

Leasingkosten sind Verhandlungssache

Die meisten Satellitenteams liefern mehr als 2,2 Millionen bei ihrem Hersteller und den Ausrüstern wie Öhlins oder Brembo ab, denn meistens müssen die Sturzteile ersetzt und bezahlt werden oder Technik-Updates bei Komponenten wie Suspension, Bremsen, Kupplung, Chassis, Elektronik, Aero-Updates und so weiter. Manche Hersteller bieten den Teams eine Pauschalsumme für die Sturzteile an, und nur wenn dieser Betrag überschritten wird, werden zusätzliche Rechnungen fällig.

Die schlaueren Teambesitzer bemühen sich um «all inclusive»-Deals, um bei sturzeifrigen Piloten keine Pleite zu erleben und sich außerdem einige Updates leisten zu können.

Denn wer sich nicht absichert, muss plötzlich beim Hersteller womöglich 5,6 statt 4,6 Millionen Euro abliefern, aber diesen finanziellen Spielraum hat kein einziger Besitzer eines Kundenteams eingeplant.

Immer häufiger zahlen die Werke auch die Gagen und die happigen Erfolgsprämien für die Fahrer aus den Kundenteams: Bei LCR, GASGAS-Tech3, bei Pramac und beim Trackhouse-Aprilia-Kundenteam.

Bei manchen Kundenteams übernehmen die Werke zumindest die Kosten für die Bonuszahlungen, die ja auch variabel und nicht vorhersehbar sind.

Denn wenn ein Privatfahrer vier Siege einfährt wie zum Beispiel Enea Bastianini 2022 bei Gresini Racing oder Martin 2023 bei Prima Pramac, werden beträchtliche Bonuszahlungen fällig – die aber kein Sponsor zusätzlich auf den Tisch legt.

«Du musst im Budget immer 5 bis 10 Prozent Spielraum für Kosten haben, die du nicht im voraus berechnen kannst», sagt GASGAS-Tech3-Teamchef Hervé Poncharal. «Aber du kannst nicht gambeln und 50 Prozent des Jahresbudgets ohne Absicherung planen. Sonst kommst du in eine Gefahrenzone.»

Das hatte damals zur Folge, dass manche Teams wie Interwetten-Honda 2011 bereits nach einem Jahr wieder aus der MotoGP-WM verschwanden.

Als die Hersteller den starken Kundenteams nicht so großzügig unter die Arme griffen, waren die Satellitenteams natürlich unabhängiger. Vor der Einheitstreifen-Ära (sie begann 2009) auch bei der Wahl des Reifenfabrikats (Michelin, Bridgestone, Dunlop), bei der Fahrerwahl und sogar bei der Auswahl der Crew-Chiefs, der Sponsoren oder der Öl- und Treibstoffmarke.

Als im November bei Ducati Corse überlegt wurde, Enea Bastianini im Austausch gegen Jorge Martin vom Lenovo- ins Pramac-Team zu transferieren, erklärte sogar Pramac-Teambesitzer Paolo Campinoti: «Das wird bei Ducati entschieden.»

«Dafür trugen wir als Teambesitzer ein erheblich kleineres finanzielles Risiko», führt Tech3-Teamchef Hervé Poncharal ins Treffen.

Heute haben jene Hersteller wie Honda, Pierer Mobility und Aprilia zu ihren (einzigen) Kundenteams LCR, Tech3 und neue Trackhouse viel engere Beziehungen als früher, als einfach die Bikes verleast wurden, aber kaum Einfluss auf die Teamführung, die Sponsorensuche und die Fahrerwahl genommen wurde.

Heute haben die Topfahrer Verträge mit den Werken, die jeweiligen Motorsport-Manager verfrachten sie dann in eines ihrer zwei Teams – je nach Können, Erfahrung und Erfolgsaussichten. 

Ein gewisses Mitspracherecht wird den Kundenteam-Besitzern manchmal eingeräumt. «Seit der Corona-Zeit haben unsere Fahrer zwei Verträge – einen mit HRC, einen mit LCR Racing», verriet LCR-Teambesitzer Lucio Cecchinello gegenüber SPEEDWEEK.com.

«Die drei Motorradwerke, die momentan nur ein Kundenteam beliefern, sind dadurch bei allen vier Piloten direkt involviert. Zwei fahren im offiziellen Werksteam, die zwei anderen werden genau so gut wie die Werksfahrer unterstützt, auch wenn das Kundenteam von einer separaten Firma eingesetzt wird, die einen Teil der Kosten übernimmt», räumt Hervé Poncharal ein.

Heute hält sich das Geschäftsrisiko der erfolgreichsten MotoGP-Teambesitzer in Grenzen. Es sei denn, es kommt beim Budget zu Zahlungsausfällen durch unzuverlässige Sponsoren wie bei RNF-Team in den letzten zwei Jahren.

MotoGP-WM-Endstand nach 39 Rennen:

1. Bagnaia, 467 Punkte. 2. Martin 428. 3. Bezzecchi 329. 4. Binder 293. 5. Zarco 225. 6. Aleix Espargaró 206. 7. Viñales 204. 8. Marini 201. 9. Alex Márquez 177. 10. Quartararo 172. 11. Miller 163. 12. Di Giannantonio 151. 13. Morbidelli 102. 14. Marc Márquez 96. 15. Bastianini 84. 16. Oliveira 76. 17. Augusto Fernández 71. 18. Nakagami 56. 19. Rins 54. 20. Raúl Fernández 51. 21. Pedrosa 32. 22. Mir 26. 23. Pol Espargaró 15. 24. Savadori 12. 25. Folger 9. 26. Bradl 8. 27. Pirro 5. 28. Petrucci 5. 29. Crutchlow 3.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati, 700 Punkte. 2. KTM 373. 3. Aprilia 326. 4. Yamaha 196. 5. Honda 185.

Team-WM:

1. Prima Pramac Racing, 653 Punkte. 2. Ducati Lenovo Team 561. 3. Mooney VR46 Racing 530. 4. Red Bull KTM Factory Racing 456 5. Aprilia Racing 410. 6. Gresini Racing 328. 7. Monster Energy Yamaha 274. 8. CryptoDATA RNF 134. 9. Repsol Honda 122. 10. LCR Honda 116. 11. GASGAS Factory Racing Tech3, 95.

 

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