Miller: «Verlangen nach Racing noch nicht gestillt!»
Die zweite Hälfte der MotoGP-Saison 2023 verlief für Jack Miller ungewöhnlich ruhig. In mindestens der Hälfte seiner vorherigen acht Jahre in der Königsklasse gab es stets Spekulationen darüber, wo und für wen er im kommenden Jahr fahren würde. Während seiner fünf Jahre bei Ducati begannen die ständigen Fragen und Gerüchte, dem sympathischen Australier auf die Nerven zu gehen.
In der Saison 2023 befand er sich jedoch mitten in einem Zweijahresvertrag mit Red Bull KTM. Diese Verbindung lief schließlich aus, und Miller war der letzte Fahrer im aktuellen Starterfeld, der einen Vertrag für 2025 vorweisen konnte – mit einem Rettungsanker bei seinem früheren Arbeitgeber Pramac.
Dieser Wechsel bedeutete erneut ein neues Motorrad und den Verlust wichtiger persönlicher Sponsoren wie Red Bull und Alpinestars. Bereits beim sechsten Saisonlauf in Le Mans wurde er auf Gerüchte angesprochen, wonach Toprak Razgatlioglu ihn 2026 ersetzen könnte. «Viel Glück für ihn. Keine Ahnung. Was soll ich sagen?», antwortete er auf die eher optimistische Frage eines Journalisten. «Ich hab keinen blassen Schimmer. Du fragst den Falschen.»
Jack Miller bewies mehrfach große Anpassungsfähigkeit
Das Jahr 2024 war hart – nur vier Top-10-Platzierungen mit der KTM RC16. Doch Millers Fortschritt auf der M1 im Zuge von Yamahas tiefgreifendem Umbau mit neuem Personal, neuer Struktur, erhöhter Einsatzbereitschaft und sogar einem bald kommenden V4-Motor war beachtlich. In seinen ersten drei Einsätzen mit der violetten M1 zeigte er bereits vergleichbare Leistungen, ehe das Doppel-Aus in Katar und Frankreich folgte. In Silverstone war er erneut zweitbester Yamaha-Pilot hinter Fabio Quartararo und bringt seine ganze Erfahrung ins Yamaha-Projekt ein.
«Ich fühle mich jedes Jahr kompletter als Fahrer», sagte er bei einem Cappuccino in der farbenfrohen Pramac-Hospitality in Großbritannien. «Ich mache mehr Veränderungen durch als andere in ihrer ganzen Karriere. Unterschiedliche Hersteller, Technik, Zündfolgen, Design, Reifen, Fahrwerke – alles. Man könnte sagen, Veränderung sei beunruhigend, aber wenn du sie nicht annimmst, bist du erledigt. Verstehe das Unbekannte so gut du kannst – du kannst es nie beurteilen, bevor du es nicht ausprobiert hast!»
Für 2025 musste Miller offen sein. Ja, er ist zurück bei Pramac, jenem Team, das er 2018 bis 2020 mit der Desmosedici vertrat, doch er musste sich auch auf Yamahas Reihenvierzylinder einstellen – und das Team zeitweise alleine tragen, nachdem sich Miguel Oliveira an der Schulter verletzt hatte.
«Ich lerne jedes Mal mehr, wenn ich das Motorrad fahre», gestand er. «Ich ändere meinen Fahrstil, meine Sitzposition, die Art, wie ich mich an die Reifen anpasse. Ich hänge heute mehr neben Bike als je zuvor, einfach weil es notwendig ist, damit die Maschine einlenkt.»
«Nach der ersten Fahrt betreibt man ein bisschen Seelensuche. Bei mir war’s das Gefühl: 'Ich muss verdammt nochmal einiges tun, damit das für mich funktioniert …' Aber ich habe viele Jahre GP-Erfahrung und viele Jahre auf Motorrädern. Unterschiedliche Motorräder», fügte er hinzu.
«Man muss entscheiden, woran man arbeiten will. Im Winter habe ich versucht, das Stück für Stück zu analysieren. Ich musste verstehen, was ich anders machen muss, damit das Bike für mich besser funktioniert. Und wenn’s dann klappt, fühlt es sich extrem belohnend an.»
Schwierige zweite Saison im KTM-Werksteam
Nach dem eher spekulativen Dreijahres-Vertrag mit Honda 2015, bei dem er die Moto2 übersprang und aus der Moto3 direkt in die MotoGP wechselte, beendete Miller jede Station – bei Marc VDS, Pramac und Ducati – mit Aufwind. Doch Platz 14 mit KTM in 2024 war seine schlechteste Platzierung seit seiner zweiten Saison 2016.
«Das endete nicht positiv, und ich habe klar gesagt, warum», blickte der mittlerweile 30-Jährige zurück. «Am Ende des ersten Jahres sind wir [Teamkollege Brad Binder und er] beim letzten Rennen in Führung liegend gestürzt. Wir waren auf 1 und 2. Dann, ab dem Moment, als wir den neuen Hinterreifen montiert haben, lief nichts mehr. Es vibrierte, ratterte, und ich konnte nicht mehr fahren wie im Jahr davor – was Kurvenspeed und meine Fahrweise anging.»
«Das hat mich so eingeschränkt, dass ich auf dem Motorrad saß und einfach nur wartete, bis es vorbei ist. Wenn sich nichts verbessert oder verändert, bist du gefangen. Egal, was wir mit dem Motorrad gemacht haben – da war etwas, das nicht passte: meine Sitzhaltung, mein Gewicht oder was auch immer – irgendetwas hat dieses Ding vibrieren lassen. Rückblickend war das hart. Aber ich kenne die Ursache, denn wir sind von einem extrem konkurrenzfähigen Bike zu einem übergegangen, das bei jedem Versuch vibrierte.»
Starke Steigerung auf der Yamaha M1
Pramac und Yamaha boten eine neue Chance, doch beim Test in Barcelona war er noch weit zurück und musste über den Winter viel aufholen. In den Vorsaisontests in Malaysia und Thailand war er bereits nahe an den Top-10 und zeigte vielversprechende Ansätze. Der fünfte Platz beim US-GP war ermutigend – und in Le Mans, im chaotischen Regenrennen, hatte er die ultimative Chance auf den dritten Sieg mit einem dritten Hersteller. Er hatte dieselbe Reifenwahl wie der spätere Sieger Johann Zarco und lag deutlich vor ihm, bis das Unglück in der letzten Kurve von Runde sechs zuschlug.
«Ich hatte einen Sieg in der Hand», sagte er kopfschüttelnd. «Ich hab’s vermasselt. Ich war 14 Sekunden vor Johann. Du rechnest während der Fahrt, wo du bist und wo du landen könntest. Ich sah ihn auf den TV-Bildschirmen und wusste, was das für mich bedeuten würde. In Kurve 13 hatte ich die Runde davor schon eine Schrecksekunde und wusste, ich muss zurückstecken – aber dann war’s im Bruchteil einer Sekunde vorbei. Du rutschst über den Boden und denkst: 'Nächstes Jahr…'»
Die Erinnerung schmerzt. Miller betont, dass er «immer noch den Truck umwerfen möchte», wenn ein Ergebnis verloren geht. «Ich glaube, ich bin immer noch derselbe Junge, der zu viel zu schnell will, und oft hab ich mir damit selbst ins Bein geschossen. Aber gleichzeitig habe ich gelernt, nicht panisch zu werden und mich einfach auf das zu konzentrieren, was ich kontrollieren kann.»
Zukunft: MotoGP-Testfahrer oder Superbike-WM?
Jack nähert sich dem Ende seiner GP-Karriere, betont aber, dass er noch immer den Drang zum Wettkampf spürt und noch nicht an eine Rolle als Testfahrer denkt. «Ich denke jeden Tag ans Racing. Jeden Morgen, wenn ich auf mein Rad steige. Wenn ich nach Spanien fahre zum Trainieren. Ich jage diesem Gefühl hinterher, es wieder zu haben. Ich muss noch mehr Rennen fahren. Ich habe dieses Verlangen noch nicht gestillt – vielleicht werde ich das auch nie.»
Erneut ist er einer der wenigen Fahrer mit auslaufendem Vertrag für 2026. Im Paddock kursiert das Gerücht, Miller stehe vor einem lukrativen Dreijahresvertrag mit HRCs angeschlagenem Superbike-WM-Projekt, das seit Nickys Haydens Sieg 2016 im Regen von Malaysia keinen Erfolg mehr feierte.
Der lediglich zwölf Rennwochenenden umfassende Superbike-Kalender könnte für die Startnummer 43 und seine junge Familie verlockend sein. Während Miller die MotoGP und den WM-Kampf noch nicht aufgeben möchte, weiß er auch, dass er als erfahrener, vielseitiger Fahrer einen Wert mitbringt.
«Was Testfahrten und Ähnliches angeht, gebe ich super Feedback und habe Erfahrung», erklärte er selbstsicher. «Das wäre definitiv etwas, das ich gerne machen würde, wenn alles vorbei ist. Das ist gut in der Hinterhand zu haben. Ich wollte immer alles ausprobieren und mein Bestes auf dem Motorrad geben.»
«Gibt es andere Bereiche in meinem Leben, in denen ich es besser hätte machen können? Wahrscheinlich viele. Aber bei Motorrädern habe ich alles reingesteckt – und deshalb bin ich der Fahrer, der ich heute bin. Im Moment ist das noch weit weg für mich. Aber ich weiß, dass es eine Karte ist, die ich in der Hinterhand habe.»
Wenn er den Grand-Prix-Sport eines Tages verlässt, dann mit einer großen Fangemeinde, Siegen mit Honda und Ducati (bislang) – und einem Moto3-Titel, den er nur um zwei Punkte verpasste. Australien dürfte auf einen Nachfolger nicht lange warten müssen: Der 19-jährige Senna Agius feierte letzte Woche in Silverstone seinen ersten Moto2-Sieg – in seiner zweiten Saison.