Das meiste Talent: Marquez, Rossi, Stoner – Gobert?
Das Ducati-Werksteam hatte nach dem Titelgewinn von Marc Marquez am 28. September in Japan kaum Zeit, um zu feiern. Rennchef Gigi Dall’Igna zog sich bei einem waghalsigen Sprung in einen Swimmingpool Blessuren im Gesicht zu, weil das Becken weniger tief war, als angenommen und er über die Bodenfließen schrammte.
Von Japan ging es direkt weiter nach Indonesien, wo sich der neue Champion am vergangenen Sonntag eine Fraktur sowie Bänderverletzung in der rechten Schulter zuzog, als er von Aprilia-Pilot Marco Bezzecchi abgeräumt wurde.
Inzwischen hatte Davide Tardozzi etwas Zeit, um den 11. (!) Fahrer-WM-Titel in seiner herausragend erfolgreichen Karriere als Teammanager einzuordnen. Der Italiener ist bis heute der arrivierteste Superbike-Teammanager und hat sich inzwischen auch in der Prototypen-WM seine Lorbeeren verdient.
1988 gewann Tardozzi in Donington Park auf einer Bimota den ersten Lauf in der Geschichte der Superbike-WM und wurde damals Dritter der Gesamtwertung. 1996 sackte er seinen ersten Titel als Ducati-Teammanager mit Troy Corser ein, es folgten Triumphe mit Carl Fogarty (1998, 1999), Troy Bayliss (2001, 2006, 2008), Neil Hodgson 2003 und James Toseland 2004. «Dann gab es einen kleinen Albtraum und ich ging in die MotoGP», erinnerte sich Tardozzi an die Zeit, als erst Ducati werksseitig aus der Superbike-WM ausstieg und er anschließend kurz für das BMW-Werksteam tätig war.
In der Königsklasse hatte der Hersteller aus Borgo Panigale, ein Vorort von Bologna in Norditalien, bis dahin nur einen Titel gewonnen: 2007 mit Casey Stoner, in der ersten Saison der nur fünf Jahre währenden 800er-Ära.
Trotz zahlreicher Siege zog Ducati in Tardozzis erster Dekade in der MotoGP immer gegen Honda oder Yamaha den Kürzeren, 2020 gegen Suzuki. Doch seit 2022 haben die Roten die Oberhand.
«Ich gewann mit Pecco Bagnaia 2022 und 2023, dazu mit Marc Marquez 2025», grinste Tardozzi, der davon ausgeht, dass sich sein Champion schnell von seiner Verletzung erholen und an seine vorherige körperliche und mentale Verfassung wird anknüpfen können. «Dann kann er noch fünf, sechs oder sieben Jahre auf diesem Niveau fahren. Solange er körperlich fit ist und seine jetzige Einstellung hat, wird er einer der besten Fahrer der Welt sein.»
«Die Wertigkeit eines Titels zu beantworten, ist immer schwierig», meinte der 66-Jährige im persönlichen Gespräch mit SPEEDWEK.com zu seinem jüngsten Coup. «Deshalb sage ich immer das Gleiche: Das ist der vergangene Titel, ich schaue bereits nach dem nächsten. Mit jedem Titel sind schöne Erinnerungen verbunden. Es ist offensichtlich erstaunlich, dass wir mit diesem Titel einen Champion zurückbringen konnten, der in großen Schwierigkeiten steckte. Glücklicherweise haben wir bei den Superbikes und auch in der MotoGP viel gewonnen, ich habe aber immer noch das Gefühl, dass ich nach vorne schauen muss.»
Die Anzahl WM-Titel und GP-Siege sagt alles über die Erfolge eines Rennfahrers. Anders verhält es sich mit dem Talent. Fans wie Experten diskutieren, ob Marc Marquez, Valentino Rossi oder womöglich Casey Stoner der Talentierteste von ihnen ist. Was sagt Tardozzi dazu?
«Das Ziel eines Fahrers ist, Meisterschaften zu gewinnen», holte der Weltmeistermacher etwas aus. «Zuerst Rennen, dann Meisterschaften. Reines Talent ist eine gewisse Prozentzahl, die ein Fahrer braucht, um diese Ziele zu erreichen. Ob das 50 oder 90 Prozent ausmacht, darüber lässt sich streiten. Wenn nicht gewisse Dinge zusammenkommen, dann bringst du mit deinem Talent allein nichts heim. Einer der Talentiertesten, die ich in meiner gesamten Karriere gesehen habe, war Anthony Gobert. Er hatte pures Talent – wie Casey Stoner. Und was hat Anthony Gobert erreicht? Er war ein erstaunliches Talent und zeigte in seinem ersten Jahr auf der 500er-Suzuki Dinge, die kein anderer konnte.»
Tardozzi weiter: «Talent allein lässt dich aber keine Meisterschaften gewinnen, dafür braucht es mehr. Rennfahrer sind Sportler. Auch im Fußball gibt es viele talentierte Spieler, die nach zwei oder drei Jahren aber wieder von der Bildfläche verschwinden. Und dann gibt es Spieler wie Ronaldo oder Messi, die mehr als nur Talent haben.»
«Ich stimme zu, dass Casey Stoner, was natürliches Talent betrifft, einer der Besten aller Zeiten ist», so Tardozzi abschließend. «Das bedeutet aber nicht, dass er deswegen der wichtigste Fahrer der Welt ist.»