Nico Hülkenberg hat eine Zukunft in der Formel 1

Lebensretter Halo: Belächelt, verspottet, verehrt

Von Mathias Brunner
Lewis Hamilton

Lewis Hamilton

Viele Formel-1-Fahrer hatten Bedenken, als der Autosport-Weltverband FIA den Titankopfschutz Halo (Heiligenschein) einführte. Heute wissen die Piloten: Der Halo ist ihre beste Lebensversicherung.

Der schwere Unfall von Jules Bianchi 2014 brachte für den FIA-Präsidenten Jean Todt Gewissheit: Die Forschung nach einem besseren Schutz des Fahrerkopfs musste intensiviert werden. Der Südfranzose war im Japan-GP von der Bahn geraten, sein Renner prallte auf einen Kranwagen, Bianchi zog sich schwerste Kopfverletzungen zu und fiel ins Koma. Schon jahrelang hatten die Sicherheitsexperten des Autosport-Weltverbands FIA nach einem Konzept geforscht, um den letzten freistehenden Teil des Piloten besser zu schützen – den Kopf. Für Bianchi kam diese Forschung zu spät. Er starb im Sommer 2015, er war aus dem Koma nie mehr aufgewacht.

Mercedes-Benz schlug 2015 das Konzept des so genannten Halo (Heiligenscheins) vor, die FIA hat das verfeinert. Mercedes hat auch den Namen erfunden. Die ersten Prototypen bestanden aus Stahl. Eine erste Attrappe am Ferrari, mit welcher Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen Anfang 2016 die Sicht aus dem Autos abschätzen konnten, war aus Stahl und Kohlefaser gefertigt.

Der heutige Halo besteht aus Titan und wiegt 9 Kilogramm. Mit allen Anlenkpunkten und Verstärkungen am Chassis erhöhte sich das Gewicht eines GP-Renners um rund 14 Kilogramm. Gebaut wird der Halo von drei Spezialfirmen – CP Autosport, STT sowie VSystem. Die passenden Scharniere an den Überlebenszellen müssen die Rennställe selber bauen.

Der Autoverband FIA schreibt exakt vor, welche Belastungen der Halo aushalten muss. Andernfalls wird ein Auto nicht homologiert. Der Bügel muss einen Druck von 116 KiloNewton von oben aushalten (das entspricht fast 12 Tonnen oder dem Gewicht zweier afrikanischer Elefanten), 46 kN von vorne (4,7 Tonnen) und 93 kN von der Seite (9,5 Tonnen). Alle Tests gelten für eine Dauer von fünf Sekunden.

Der damalige Formel-1-Rennleiter und –Sicherheitsdelegierte Charlie Whiting präsentierte den GP-Piloten Forschungsergebnisse der FIA. «In 17 Prozent aller Fälle, mit mehr als einer Million verschiedener Szenarien in Sachen Objektgrössen und Aufprallwinkel, werden diese heranschiessen Teile vom Fahrer abgelenkt. Ohne Halo hätten sie alle den Piloten getroffen.»

Die Fahrer hegten trotzdem Vorbehalte: Sie glaubten, dass die Sicht beeinträchtigt werde, sie glaubten, man könne sich nicht schnell genug aus einem Wagen befreien, der umgestürzt ist, oder sie fanden den Bügel hässlich. Nico Hülkenberg spottete damals: «Das ist nicht mehr Formel 1.»

Aber Daniel Ricciardo differenzierte: «Ich bin nicht der Ansicht, dass man eher ein Held ist, wenn der Halo weggelassen wird. Der Halo ändert den Sport nicht, er ändert den Speed der Autos nicht. Aber er schützt uns besser vor herumfliegenden Objekten. Wer sich hier in die Brust wirft, weil er darauf verzichten will, den verstehe ich nicht, tut mir leid, das ist falsches Heldentum.»

Weltmeister Lewis Hamilton kommentierte auf seinem Instagram-Konto zu einer Halo-Attrappe auf dem Ferrari (um herauszufinden, wie der Halo die Sicht beeinträchtigt): «Bitte nicht! Das ist die hässlichste Modeerscheinung in der Formel-1-Geschichte. Ich schätze das Streben nach mehr Sicherheit, aber das ist Formel 1, und so wie die Autos derzeit sind, ist das in Ordnung.»

Später sagte er in einer Medienrunde: «Ich hoffe, die FIA wird die Möglichkeit eröffnen, dass der Gebrauch eines solchen Kopfschutzes freiwillig ist. Dann werde ich gewiss darauf verzichten.»

Motorrad- und Automobil-Weltmeister John Surtees redete daraufhin Hamilton ins Gewissen. Der 2017 verstorbene Engländer hatte 2009 seinen Sohn Henry verloren, als der aufstrebende Rennfahrer bei einem Formel-2-Rennen in Brands Hatch von einem Rad am Kopf getroffen und dabei tödlich verletzt wurde.

John Surtees: «Lewis könnte vielleicht etwas eingehender über den Halo nachdenken. Henry wurde von einem Rad getroffen, das 28 Kilogramm wog. Ich glaube, dass er mit einem Halo eine Überlebenschance gehabt hätte.»

Dennoch sagte Hamilton beim WM-Finale von Abu Dhabi 2017: «Wir erleben gerade die letzte Ära schöner Grand-Prix-Autos, denke ich. Es ist das letzte Rennen, in dem die Autos gut aussehen werden. Ich denke, im nächsten Jahr geht es optisch bergab.»

Nach und nach lösten sich die Einwände in Luft auf. Die meisten Piloten fanden nach erste Fahrversuchen im Laufe der Saison 2016: Nach einer kurzen Gewöhnungsphase ist die Sicht ganz okay.

Die Fahrer merkten: Man kann sehr wohl schnell aus einem Wagen steigen, sie sind wegen des Halo nicht gefangen, im Gegenteil – mit aufgesetztem Halo ist der vordere Teil des Chassis sogar weiter vom Boden entfernt als ohne. Die FIA führte entsprechende Versuche durch, die Testpersonen krabbelten problemlos aus dem Wagen. Romain Grosjean konnte sich in Bahrain 2020 aus seinem brennenden Wagen befreien, Lance Stroll kroch später ebenfalls aus seinem umgestürzten Rennauto (nach einer Kollision mit dem Wagen von Daniil Kvyat). Lewis Hamilton hat der Halo bei dem Unfall mit Max Verdstappen in Monza 2021 wohl ebenfalls das Leben gerettet.

Spätestens nach dem Belgien-GP 2018 wurde die Kritik leiser. Denn beim Startcrash in Spa-Francorchamps, als der von Nico Hülkenberg getroffene McLaren von Fernando Alonso abhob und über den Sauber von Rookie Charles Leclerc schmirgelte, wurde deutlich, dass der orangene Renner aus Woking seine Spuren auf dem Schutzbügel des Alfa Romeo-Sauber hinterlassen hatte.

Leclerc gestand nach dem Crash, den er unbeschadet überstanden hatte: «Ich war nie ein grosser Halo-Fan, aber ich muss sagen, dass ich unglaublich froh bin, ihn in diesem Fall über meinem Kopf gehabt zu haben.» Und Alonso betonte: «Nicht dass wir einen Beweis gebraucht hätten, aber dieser Unfall zeigt, dass der Halo eine gute Sache ist.»

Der 2016er-Weltmeister Nico Rosberg stimmte dem zweifachen Champion zu: «Wir können die Diskussionen um den Halo nun beenden. Er wird Leben retten.»

Was die Ästhetik angeht, so brachte das Max Verstappen 2020 in Bahrain auf den Punkt: «Ich habe nicht vergessen, wir kritisch ich mich geäussert habe, als der Bügel damals an die Autos kam. Ich fand ihn wirklich unansehnlich. Aber wenn wir wissen, wie der Halo Grosjean geschützt hat, dann brauchen wir uns nicht mehr über Ästhetik zu unterhalten.»

Wir haben in der Formel 1 schon einige Male Neuheiten erlebt, welche Fahrer und Fans als hässlich empfangen: Schmale, hoch angeordnete Heckflügel, überbreite Frontflügel, nicht zu vergessen diese skurrilen Fortsätze der Fahrzeugnasen, die an Ameisenbären oder Delfine erinnerten. Aber jedes Mal war es so, dass sich die Aufregung bald legte, und nach wenigen Rennen war dieses Aussehen völlig normal geworden und keine Erwähnung mehr wert.

Heute ist vom Halo nur dann die Rede, wenn er das getan hat, wofür er entworfen wurde. Mercedes-Teamchef Toto Wolff weiß: «Der Halo hat heute definitiv das Leben von Lewis gerettet, es wäre ein fürchterlicher Unfall gewesen, an den ich nicht mal denken will, wenn wir den Halo nicht gehabt hätten.»

Italien-GP, Monza

01. Daniel Ricciardo (AUS), McLaren MCL35M-Mercedes, 1:21:54,365 h
02. Lando Norris (GB), McLaren MCL35M-Mercedes, +1,747 sec
03. Valtteri Bottas (FIN), Mercedes W12, +4,921
04. Charles Leclerc (MC), Ferrari SF21, +7,309
05. Sergio Pérez (MEX), Red Bull Racing RB16B-Honda, 8,723
06. Carlos Sainz (E), Ferrari SF21, +10,535
07. Lance Stroll (CDN), Aston Martin AMR21-Mercedes, +15,804
08. Fernando Alonso (E), Alpine A521-Renault, +17,201
09. George Russell (GB), Williams FW43B-Mercedes, +19,742
10. Esteban Ocon (F), Alpine A521-Renault, +20,868
11. Nicholas Latifi (CDN), Williams FW43B-Mercedes, +23,743
12. Sebastian Vettel (D), Aston Martin AMR21-Mercedes, +24,621
13. Antonio Giovinazzi (I), Alfa Romeo C41-Ferrari, +27,216
14. Robert Kubica (PL), Alfa Romeo C41-Ferrari, +29,769
15. Mick Schumacher (D), Haas VF-21-Ferrari, +51,088
Out
Nikita Mazepin (RUS), Haas VF-21-Ferrari
Lewis Hamilton (GB), Mercedes W12, Crash
Max Verstappen (NL), Red Bull Racing RB16B-Honda, Crash
Pierre Gasly (F), AlphaTauri AT02-Honda
Yuki Tsunoda (J), AlphaTauri AT02-Honda

WM-Stand nach 14 von 21 Rennen

Fahrer 
1. Verstappen 226,5 Punkte
2. Hamilton 221,5 
3. Bottas 141
4. Norris 132
5. Pérez 118
6. Leclerc 104
7. Sainz 97,5
8. Ricciardo 83
9. Gasly 66
10. Alonso 50
11. Ocon 45
12. Vettel 35
13. Stroll 24
14. Tsunoda 18
15. Russell 15
16. Latifi 7
17. Räikkönen 2
18. Giovinazzi 1
19. Schumacher 0
20. Kubica 0
21. Mazepin 0

Teams
1. Mercedes 362,5
2. Red Bull Racing 344,5
3. McLaren 215
5. Ferrari 201.5
5. Alpine 95
6. AlphaTauri 84
7. Aston Martin 59
8. Williams 22
9. Alfa Romeo 3
10. Haas 0


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