Barcelona, Tag 2: Leclerc (Ferrari) heizt Vettel ein

Von Mathias Brunner
​Charles Leclerc hat am zweiten Testtag dort weitergemacht, wo der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel aufgehört hatte: Bestzeit für Ferrari. Der Monegasse ist einen Hauch weniger schnell als der Deutsche.

Ganz vorne und ganz hinten haben wir am zweiten Wintertesttag ein Abziehbild des 18. Februar erlebt: Ein Ferrari fährt Bestzeit, kein Williams auf der Bahn, Weltmeister Mercedes spult in aller Seelenruhe das Programm ab, ohne sich im Gerinsten um Rundenzeiten zu bemühen. Dazwischen erfreuen wir uns an munteren Verschiebungen, an die wir uns gewöhnen müssen, vor allem wenn wir ans kommende Gerangel im Mittelfeld denken.

Der junge Monegasse Charles Leclerc ist grün vor Vorschusslorbeer zu Ferrari gekommen, und er hat eiskalt abgeliefert: Schnellster Mann am zweiten Testtag, knapp eine Zehntelsekunde hinter der Bestzeit seines Teamgefährten Sebastian Vettel vom Montag. Dies auf den gelb markierten C3-Reifen von Pirelli. Wieder ist ein Ferrari die meisten Runden gefahren, wieder erleben wir entlang der Bahn einen Wagen, der die Kurven wie auf Schienen zurücklegt, von einem solchen Handling können die meisten anderen Fahrer nur träumen. Mit Ausnahme der Mercedes-Piloten: Die Silberpfeile sind mit reichlich Sprit unterwegs, aber es ist auch so offensichtlich, wie gut das 2019er Chassis Randsteinritte verdaut. Auch in Sachen Traktion wirkt der Mercedes sehr gut. Ähnlich eindrucksvoll, vor allem in mittelschnellen Kurven, ist nur noch der Alfa Romeo-Sauber.

Toro-Rosso-Neuling Alex Albon bezahlt Lehrgeld. Er rutschte am Morgen mit zu wenig aufgewärmten Reifen von der Bahn. Das war ärgerlich, aber keine Schande, denn es war zuvor auch den Routiniers Kimi Räikkönen und Romain Grosjean passiert.

Gravierender hätte der Abflug von Daniel Ricciardo ausgehen können: An seinem Renault flatterte der obere Teil des Heckflügels davon, und dies bei jenem neuen DRS-Mechanismus, der erst in der Nacht auf Dienstag in Katalonien eingetroffen war. «Ohne entsprechenden Abtrieb hast du keine Chance, einen Dreher zu vermeiden», stöhnte der Australier. «Immerhin setzte ich den Wagen nicht in eine Mauer.»

Das erledigte Red Bull Racing-Fahrer Pierre Gasly: Der Franzose befand sich auf seiner bislang schnellsten Runde (Sektorbestzeit), bevor er im Bereich der Kurven 11 und 12 vom Heck seines eigenen Wagens überholt wurde und das Fahrzeug rückwärts in die TecPro-Barriere stiess. Abgesehen vom Stolz ist beim Piloten nichts verletzt worden. Der Wagen wurde in der RBR-Box unter die Lupe genommen, um zu sehen, was beim Aufprall alles beschädigt worden ist. Antwort: Heckflügel gebrochen, Crash-Struktur in Mitleidenschaft gezogen, Diffusor zerknautscht. Das bedeutete vorzeitig Feierabend für Gasly und viel Arbeit für seine Schrauber. Ein Crash in dieser Phase der Testfahrten ist doppelt ärgerlich. Er kostet nicht nur Zeit, die Teams haben auch wenig Ersatzteile.

Wegen Gasly konnte Renault-Fahrer Nico Hülkenberg seine Rennsimulation nicht beenden. Zuvor bestätigten die Rundenzeiten des Deutschen die Eindrücke, welche uns Ricciardo vermittelt hatte: Die 2019er Pirelli-Reifen bauen weniger ab als die letztjährigen Walzen, sie erlauben gleichmässig gute Rundenzeiten.

Daniel Ricciardo war mit einem Helm unterwegs, auf dem steht, worum es hier in Katalonien geht: TEST. Das richtige Helmdesign folgt später.

Mercedes teilte die Arbeit erneut, mit Lewis Hamilton am Morgen im Einsatz und Valtteri Bottas am Nachmittag. Beide rutschten einmal von der Bahn, allerdings in asphaltierten Pistenbereichen, beide konnten weitermachen.

Gasly brachte unfreiwillig ein wenig Pfeffer ins Geschehen, denn bei aller Begeisterung für die neuen Rennwagen: Dauerläufe werden ohne echte Duelle auf die Dauer ein wenig fad. Zuvor deuteten die kürzeren Einsätze des Franzosen darauf hin, dass die vierfachen Weltmeister aus Milton Keynes eher an der Abstimmung des Wagens arbeiten als am Ausloten der Pirelli-Walzen.

Von Gittern und Schmierpaste

Am Morgen waren zahlreiche Autos mit Messgittern und FloViz-verschmierten Autos auf der Bahn. FloViz und grosse Messgitter gehören bei der Testarbeit zur Formel 1 wie Monte zu Carlo: Mit der zähflüssigen Farbe wird bei der Rückkehr an die Box der Strömungsverlauf geprüft. Es ist ein Vergleichstest zu den Werten aus der Flussdynamikberechnung (computational fluid dynamics, kurz CFD), wenn also die Luftströmung um den Rennwagen herum simuliert wird.

FloViz ist eine Abkürzung für «flow visualization» (Flussveranschaulichung). In der Formel 1 ist die Verwendung dieser Paste verhältnismässig jung: McLaren benutzte die Farbe 2010 erstmals auf dem Testplatz in aller Öffentlichkeit. In den Werken war schon länger damit gearbeitet geworden. Wieso das späte Debüt an der Teststrecke? Weil nicht nur die eigenen Techniker den Strömungsverlauf sehen, sondern auch die Argusaugen der Konkurrenz.

Die Paste muss flüssig genug sein, um sich leicht auftragen zu lassen und wenig zu tropfen. Aber auch aushärtend genug, um nicht vom Luftstrom komplett weggeschmiert zu werden. Die Ingenieure wissen: Die CFD-Progamme können noch so hochgestochen sein, der Windkanal nach dem jüngsten Stand – nichts ersetzt die Arbeit an der Strecke.

Das Vorgehen ist immer gleich: Ein bestimmtes aerodynamisches Teil, sagen wir ein Frontflügel, wird mit der Paste eingeschmiert. Der Fahrer legt eine Runde zurück. Die Farbe verschmiert nach Strömungszwang und trocknet aus. An der Box können die Spezialisten dann überprüfen, ob der Verlauf so ist, wie sie sich das vorgestellt hatten.

Die Gitter messen in der Regel den Luftdruck und -strömungen in kritischen Bereichen, beispielsweise in den Verwirbelungen um die Räder herum oder beim Einlass der Seitenkästen. Die Gitter sind dafür mit so genannten Pitot-Rohren ausgerüstet.

Das Rohr ist benannt nach dem Franzosen Henri de Pitot (1695–1771), einem Wasserbauingenieur, gelernter Mathematiker. Er war von den Strömungen in Flüssen und Kanälen fasziniert. Früher herrschte die Annahme, die Fliessgeschwindigkeit eines Gewässers würde mit der Tiefe zunehmen. Henri de Pitot erfand ein Gerät, um diese Geschwindigkeit zu messen – die einfach-geniale Vorrichtung heisst nach ihm Pitot-Rohr, ein gerades oder L-förmiges, einseitig offenes Rohr zur Messung des Gesamtdruckes von Flüssigkeiten oder Gasen, in unserem Falle Luft. Es dient vorrangig bei Flugzeugen und Hubschraubern zur Geschwindigkeitsmessung, aber eben auch bei Formel-1-Rennautos.

Fazit des zweiten Testtags: Ferrari gibt weiter den Ton an, Mercedes stapelt tief, der Kampf im Mittelfeld ist komplett unberechenbar. Gut möglich, dass hier das Kräfteverhältnis von Rennen zu Rennen variieren wird. Alfa Romeo-Sauber macht jedenfalls eine gute Figur, nicht nur mit Kimi Räikkönen am Lenkrad, auch mit Antonio Giovinazzi. Haas verlor Zeit wegen einer defekten Benzinpumpe. Dann gab es ein Problem mit dem Sitz von Kevin Magnussen, was den Einsatz von Petro Fittipaldi verspätet hat.

Stundenlang lagen auf den ersten drei Rängen Leclerc vor Magnussen und Giovinazzi, drei verschiedene Autos, die eines eint – der Motor von Ferrari.

Kleines Detail, den scharfen Augen der Fans nicht entgangen: Die Rückleuchten am Formel-1-Renner von Gasly leuchten rot (über dem Getriebe und ab 2019 auch seitlich am Ende der Heckflügel-Endplatten), jene am Toro Rosso von Alex Albon jedoch grün. Warum? Weil es sich beim Thai-Briten um einen F1-Neuling handelt. Dem zum Schluss noch weiche Reifen spendiert wurden, um sich markant zu verbessern. Was auch McLaren-Neuling Lando Norris gegönnt wurde.

Und wann sehen wir Williams? Jetzt ist schon davon die Rede, dass wir den Wagen erst am Mittwochnachmittag auf der Bahn sehen. Das Chassis wird in der Nacht auf Mittwoch eingeflogen.

Barcelona-Test, 2. Tag (19. Februar)

1. Charles Leclerc (MC), Ferrari SF90, 1:18,247 min (157 Runden)
2. Lando Norris (GB), McLaren MCL34-Renault, 1:18,553 (103)
3. Kevin Magnussen (DK), Haas VF-19-Ferrari, 1:19,206 (59)
4. Alex Albon (GB), Toro Rosso STR14-Honda, 1:19,301 (132)
5. Antonio Giovinazzi (I), Alfa Romeo-Sauber C38-Ferrari, 1:19,312 (100)
6. Valtteri Bottas (FIN), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:19,535 (88)
7. Pierre Gasly (F), Red Bull Racing RB15-Honda, 1:19,814 (92)
8. Nico Hülkenberg (D), Renault R.S.19, 1:19,837 (95)
9. Daniel Ricciardo (AUS), Renault R.S.19, 1:19,886 (28)
10. Lewis Hamilton (GB), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:19,928 (74)
11. Lance Stroll (CDN), Racing Point RP19-Mercedes, 1:20,433 (79)
12. Pietro Fittipaldi (BR), Haas VF-19-Ferrari, 1:21,849 (13)

Barcelona-Test, 1. Tag (18. Februar)

1. Sebastian Vettel (D), Ferrari SF90, 1:18,161 min (169 Runden)
2. Carlos Sainz (E), McLaren MCL34-Renault, 1:18,558 (119)
3. Romain Grosjean (F), Haas VF-19-Ferrari, 1:19,159 (62)
4. Max Verstappen (NL), Red Bull Racing RB15-Honda, 1:19,426 (126)
5. Kimi Räikkönen (FIN), Alfa Romeo-Sauber C38-Ferrari, 1:19.462 (112)
6. Daniil Kvyat (RU), Toro Rosso STR14-Honda, 1:19,464 (74)
7. Sergio Pérez (MEX), Racing Point RP19-Mercedes, 1:19,944 (30)
8. Valtteri Bottas (FIN), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:20,127 (69)
9. Lewis Hamilton (GB), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:20,135 (79)
10. Nico Hülkenberg (D), Renault R.S.19, 1:20,980 (65)
11. Daniel Ricciardo (AUS), Renault R.S.19, 1:20,983 (44)

Einsatzplan bei den ersten Wintertests

Ferrari
18./20. Februar: Sebastian Vettel (D)
19./21. Februar: Charles Leclerc (MC)

Red Bull Racing
18./20. Februar: Max Verstappen (NL)
19./21. Februar: Pierre Gasly (F)

Toro Rosso
18./20. Februar: Daniil Kvyat (RU)
19./21. Februar: Alex Albon (GB)

Haas
18. Februar: Romain Grosjean (F)
19. Februar: Kevin Magnussen (DK)
20. Februar: Romain Grosjean, dann Pietro Fittipaldi (BR)
21. Februar: Pietro Fittipaldi, dann Kevin Magnussen

McLaren
18./20. Februar: Carlos Sainz (E)
19./21. Februar: Lando Norris (GB)

Racing Point
18./20. Februar: Sergio Pérez (MEX)
19./21. Februar: Lance Stroll (CDN)

Mercedes-Benz
18. Februar: Valtteri Bottas (FIN) Morgen, Lewis Hamilton (GB) Nachmittag
19. Februar: Lewis Hamilton (Morgen), Valtteri Bottas (Nachmittag)
20. Februar: Valtteri Bottas (Morgen), Lewis Hamilton (Nachmittag)
21. Februar: Lewis Hamilton (Morgen), Valtteri Bottas (Nachmittag)

Renault
18. Februar: Nico Hülkenberg (D) Morgen, Daniel Ricciardo (AUS) Nachmittag
19. Februar: Daniel Ricciardo (Morgen), Nico Hülkenberg (Nachmittag)
20. Februar: Nico Hülkenberg (Morgen), Daniel Ricciardo (Nachmittag)
21. Februar: Daniel Ricciardo (Morgen), Nico Hülkenberg (Nachmittag)

Alfa Romeo-Sauber
18. Februar: Kimi Räikkönen (FIN)
19. Februar: Antonio Giovinazzi (I)
20. Februar: Kimi Räikkönen
21. Februar: Antonio Giovinazzi

Williams
Programm unklar

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