Regeln lassen die MotoGP dumm aussehen

Mercedes-Benz: Was alles im Weltmeister-Motor steckt

Von Rob La Salle
​Die Formel-1-Autos werden von Hochleistungs-Turbomotoren mit elektrischer Hybrid-Technik angetrieben. Mercedes zeigt, wie der Motor seit Einführung 2014 schrittweise verbessert worden ist.

Mercedes ist das Mass der Dinge, seit die Formel 1 Anfang 2014 in die jüngste Turbo-Ära geschritten ist: Die Rennmannschaft aus Brackley (Chassis) und Brixworth (Motoren) ist Dauer-Weltmeister mit bislang fünf Fahrer-WM-Titeln (vier Mal Lewis Hamilton, ein Mal Nico Rosberg) und fünf Konstrukteurs-Pokalen in Serie. Alles deutet darauf hin, dass 2019 diese Serie fortgesetzt wird. Und dazu ist ein enormer Aufwand notwendig.

Zur Erinnerung: Der Autoverband FIA unterscheidet bei einer modernen Antriebseinheit (power unit, kurz PU) zwischen sechs verschiedenen Bestandteilen. Das Herz der PU ist der Verbrennungsmotor (internal combustion engine, kurz ICE), der eine Strukturkomponente des Fahrzeugs darstellt und das Chassis mit dem Getriebe verbindet.Die aktuellen Formel-1-Motoren sind Sechszylinder-Triebwerke, die einen Zylinderbankwinkel von 90 Grad und 1,6 Liter Hubraum aufweisen.

Das zweite Element ist der Turbolader (turbo charger, kurz TC), der die Dichte der aufgenommenen Luft verstärkt und dem Motor dadurch mehr Leistung gibt. Ein modernes Formel-1-Aggregat ist zudem ein Hybridmotor, in dem zwei Elektromotoren Energie zurückgewinnen und freigeben. Zum einen der Generator für die kinetische Energie (motor generator unit kinetic, kurz MGU-K), die beim Bremsen gesammelt wird, und jener Generator, welcher mit dem Turbolader verbunden ist und überschüssige Energie aus dem Auspuff nutzbar macht (motor generator unit heat, kurz MGU-H). Beide Motorgenerator-Einheiten wandeln die Energie ihrer jeweiligen Quelle in elektrische Energie um, die dann dazu eingesetzt werden kann, um das Fahrzeug anzutreiben.

Die elektrische Energie wird im fünften Element der PU gespeichert – einer grossen Batterie, die als energy store, kurz ES, bezeichnet wird. Dieses komplexe System an verschiedenen Komponenten wird vom sechsten und letzten Bestandteil der PU gesteuert: der Kontrollelektronik (control electronics, kurz CE).

Jedem Fahrer stehen im Verlauf einer Saison je drei Komponenten von ICE, MGU-H und TC sowie je zwei Komponenten von ES, CE und MGU-K zur Verfügung. Diese dürfen in jeder beliebigen Kombination eingesetzt werden. Wenn ein Fahrer das erlaubte Limit überschreitet, erhält er eine Zurückversetzung in der Startaufstellung.

So funktioniert der Turbomotor

Der Verbrennungsprozess im Herzen des ICE erfolgt, wenn das Benzin und die Luft sich mischen und entzündet werden, um Energie freizusetzen. Dieser Prozess funktioniert exakt wie in einem Strassenfahrzeug, allerdings fallen die Systeme ein wenig komplexer aus.

Sehen wir uns das einmal genauer an: Die Verbrennungsluft wird durch den Lüftungskanal hinter dem Überrollbügel in den Motor geleitet. Der Luftdruck wird durch einen Kompressor verstärkt, der Teil des Turboladers ist. Dieser Prozess erhöht die Lufttemperatur, weshalb die Luft danach in einem Ladekühler wieder abgekühlt werden muss, bevor sie über den Luftsammler am oberen Ende des Motors eingespeist wird.

Von dort durchläuft sie die sechs Einlasskanäle und die beiden Einlassventile bis in die Zylinder. Dort kommt das Benzin ins Spiel. Formel-1-Motoren besitzen, wie die meisten modernen Strassenfahrzeuge auch, eine Direkteinspritzung in die Brennkammer. Das Benzin darf per Reglement mit maximal 500 Bar eingespritzt werden. Während dieser Wert geringer ausfällt als die 350 Bar, die normalerweise bei der Direkteinspritzung in einem Benzinmotor eines Strassenautos zum Einsatz kommen, liegt er weit unter dem Wert eines modernen Dieselmotors, in dem der Benzindruck bis zu 2500 Bar erreichen kann.

Die Mischung aus Luft und Kraftstoff wird vom Kolben verdichtet und danach von den Zündkerzen entzündet. Die Kraft der Verbrennung drückt den Kolben nach unten, der durch eine Pleuelstange mit der Kurbelwelle verbunden ist und diese dadurch antreibt. Wenn der Kolben sich wieder anhebt, öffnen sich die Auslassventile, um die Auspuffgase aus dem Motor zu entlassen. Nun kann der gesamte Prozess wieder von vorne beginnen – bis zu 15.000 Mal pro Minute (oder 250 Mal pro Sekunde).

Die Auspuffgase werden dazu verwendet, um das Turbinenrad des Turboladers anzutreiben, der wiederum den Kompressor antreibt. Der Rest wird durch das Auspuffrohr abgegeben, wobei ein Wastegate-System dazu verwendet wird, um den Druck in dieser Phase zu kontrollieren.

Komplexer Öl- und Wasserkreislauf

Zum Motor gehören auch sehr komplizierte Öl- und Wassersysteme, die zwischen den unterschiedlichen Elementen liegen. Diese sorgen dafür, dass der Motor reibungslos funktioniert und regulieren die Temperatur, die unheimlich wichtig ist, wenn man bedenkt, dass die Gastemperaturen in der Brennkammer bis zu 2600°C erreichen können. Die Hauptaufgabe des Wasserkreislaufs ist es, die Temperaturen der vielen verschiedenen Elemente und Materialien zu kontrollieren, aus denen die Antriebseinheit besteht. Vom Kurbelgehäuse bis zum Zylinderkopf geht es nur ums eins: Der Motor darf nicht überhitzen. Dafür wird jede Menge Ingenieurskunst angewandt, von der Kontrolle des Wasserkreislaufes bis zur Effizienz der Pumpe.

Eindrucksvolle Effizienz und intensive Leistungssuche

Das Power-Unit-Reglement blieb seit seiner Einführung zu Beginn der Saison 2014 relativ stabil. Dadurch hat sich die grundlegende Philosophie der PU seit der ersten Version vor fünf Jahren nicht erheblich verändert. Dank zahlreicher Veränderungen in anderen Bereichen konnte das Team bei Mercedes-AMG High Performance Powertrains in Brixworth jedoch jedes Element der Power Unit verbessern und dadurch mehr Leistung abrufen sowie die thermische Effizienz steigern.

Im Jahr 2014 leistete die PU 900 PS und hatte eine Wärmeeffizienz von 44%. Das bedeutet: 44% der Energie aus dem Kraftstoff wurden in nutzbare Arbeit umgewandelt, mit der das Fahrzeug angetrieben wurde. Im Verlauf der Jahre wurde der Wärmewirkungsgrad stetig gesteigert, bis er im Jahr 2017 auf dem Prüfstand die 50%-Marke durchbrach.
 
In den vergangenen fünf Jahren hat sich das Team alle Bestandteile des Motors genau angesehen, um mehr Performance und eine bessere Effizienz zu erreichen. Ein Bereich, an dem das Team viel gearbeitet hat, war zum Beispiel der Durchfluss von Gasen durch den Motor – sowohl in Form der Verbrennungsluft, die in den Motor eingespeist wird, als auch bei den Auspuffgasen, die diesen wieder verlassen.

Beim Einlasssystem stellte der Luftsammler ein entscheidendes Entwicklungsgebiet dar. Er sitzt an der Spitze des Motors zwischen dem Ladeluftkühler und den Einlassventilen. Die beiden Luftsammler, einer pro Zylinderbank, halten die Druckluft, die aus dem Kompressor kommt, und sorgen für eine stabile Quelle an verdichteter Luft, selbst bei unterschiedlicher Versorgung (anlässlich verschiedener Verdichterdrehzahlen) und Bedarf (ein Motor im Leerlauf benötigt weniger Luft als ein Motor unter Volllast). Aus dem Sammler wird die Luft durch verschiedene Einlasssysteme in die Zylinder geleitet.

In der Saison 2014 schrieb das Reglement ein fixes Geometriesystem für den Luftsammler vor. Dabei liess es wenig Raum für Leistungsverbesserungen. Diese Regel wurde für die Folgesaison geändert, sodass die Ingenieure neue Wege einschlagen konnten. Dadurch verdoppelte sich nicht nur die Grösse der Luftsammler, sie beinhalten jetzt auch ein viel komplexeres Trompetensystem. Diese Schächte in Form von Trompeten sind unterschiedlich lang und entsprechend dadurch der passenden Länge für die Motordrehzahl. Auf diese Weise helfen sie damit, die Menge an Luft, die in den Motor eingespeist wird, zu maximieren.

In der Saison 2015 wurden aus den Trompeten eher Posaunen. Nun gleitet die Einlasstrompete auf und ab und verändert bei jeder Bewegung die Länge des Einlasssystems. Dadurch kann das Trompetensystem samt des Luftflusses an die Drehzahl des Motors angepasst und so die beste Länge für die unterschiedlichen Umdrehungen pro Minute bestimmt werden, um die beste Leistung zu erzeugen. Ein Teil dieser Evolution lässt sich sogar von aussen erkennen: Seit dem Jahr 2015 wuchs die Grösse der Luftsammler jedes Jahr stetig an, sodass Kohlefaserteile die Länge des Motors erhöhten und rund um die Motorabdeckung sogar aus der Verkleidung herausstehen. Deshalb kann man an jeder Seite der Motorabdeckung kleine Höcker erkennen.

Viel Arbeit am Auspuff

Ein weiterer Bereich, in dem es grosse Verbesserungen gegeben hat, ist das Auspuffsystem. Seine Form, Länge und Durchmesser haben einen enormen Einfluss auf die Motorleistung. Je schneller die beim Verbrennungsprozess entstandenen Auspuffgase aus der Brennkammer befördert werden können, desto schneller kann der neue Brennzyklus beginnen.

Im Jahr 2014 verwendete das Team ein leichtgewichtiges Auspuffsystem, das auf den kürzesten Weg vom Zylinderkopf bis zur Turbine des Turboladers setzte. Dieses System hatte zwei Vorteile: Es verursachte nicht viel Gewicht und die kurzen Rohre sorgten dafür, dass auf dem Weg zur Turbine des Turboladers und der MGU-H nicht viel Hitze verloren ging.

Im Jahr 2015 führte das Team jedoch ein komplexeres System ein, das dabei half, die Leistung des Motors zu erhöhen. In diesem verbesserten Auspuff waren die Hauptrohre (die sechs Rohre, die direkt vom Zylinderkopf wegführen) gleich lang, aber das Sekundärrohr war länger, was die Leistungskurve und die Leistungsabgabe des Motors veränderte. Seitdem hat das Team in jedem Jahr ein neues Auspuffsystem eingeführt, um jedes Mal mehr Leistung aus dem Motor herauszuholen.

Materialforschung und Schmiermittel

Ein weiteres Gebiet, auf dem das Team Fortschritte erzielt hat, sind die verwendeten Materialien. Grosse Teile des Motors bestehen aus Metall (zum Beispiel der Zylinderkopf, der aus Aluminium gefertigt wird), allerdings schreibt das Reglement nicht immer genau vor, welche Metalle verwendet werden müssen. Entsprechend kann die Auswahl der richtigen Legierung für die richtigen Komponenten grossen Einfluss auf die Zuverlässigkeit und die Leistung des Motors haben.

Gleichzeitig arbeitet das Team ständig an der Reduzierung von Reibung. Reibung kostet Leistung, während die Energie als Wärme abgegeben wird. An dieser Stelle spielen die Schmiermittel von Partner Petronas eine wichtige Rolle, da der Ölfilm zwischen den belasteten Komponenten die Reibung verringert und dadurch die Leistung steigert. Zur gleichen Zeit reduziert er aber auch die Abnutzung und verbessert dadurch die Zuverlässigkeit.

Auch der Transport des Öls an jene Stellen des Motors, an denen es benötigt wird, ist ein wichtiger Entwicklungsbereich. Der Motor wird enormen G-Kräften ausgesetzt, die beim Bremsen, Beschleunigen oder der Kurvenfahrt die vier- oder fünffache Erdbeschleunigung erreichen können. Damit das Öl jede Komponente erreicht, die es braucht, es gleichzeitig aber auch wieder aus dem Motor herauskommt, wird ein sehr komplexes Absaugsystem benötigt. Am unteren Ende des Motors befinden sich etwa zehn Ölpumpen, die Öl aus dem Zylinderkopf und der Kurbelwelle sowie einigen anderen Bereichen ziehen, um sicherzustellen, dass der Öltank niemals trocken ist.

Mehr Power mit dem richtigen Sprit

Das Benzin kommt im Herzen des Verbrennungsprozesses zum Einsatz und hat einen erheblichen Einfluss auf die Leistung des Motors. Das Reglement schreibt vor, dass der Kraftstoff bleifrei sein muss. Dadurch ist er wie das Benzin in einem Strassenfahrzeug.

Kann man eine PU mit normalem Sprit für ein Strassenauto von der Tankstelle betreiben? Man könnte es, aber es würde einige Veränderungen an der Kalibrierung nach sich ziehen, zum Beispiel bei der Zündung. Man würde auch einen spürbaren Leistungsverlust feststellen. Warum? Weil der Petronas Primax Sprit, den das Team verwendet, in den vergangenen acht Jahren speziell für die Mercedes-PU entwickelt wurde. Eine Gruppe von Petronas-Ingenieuren arbeitet kontinuierlich an der chemischen Zusammensetzung des Kraftstoffs, um sicherzustellen, dass dessen Charakteristiken den Anforderungen des Motors entsprechen. Diese Entwicklungsarbeit wird in enger Zusammenarbeit mit den Thermodynamikingenieuren von HPP geleistet.

Zwei Wochen Aufbau

Power-Units sind komplexe Maschinen. Mit der Leistung stieg auch die Komplexität. Im Jahr 2014 benötigten zwei Personen rund zwei Wochen, um eine PU zu bauen. Fünf Jahre später würde diese Aufgabe mit der gleichen Anzahl an Personen drei Wochen dauern. Aus diesem Grund musste das Team in Brixworth versuchen, diesen Zeitraum zu verkürzen, damit es durch den Montageprozess keine wertvolle Entwicklungszeit verliert. Deshalb arbeiten nun mehr Leute an der Montage der Antriebseinheit. Somit dauert es weiterhin zwei Wochen, um eine PU zusammenzubauen, allerdings ist dabei mehr Personal in den Prozess eingebunden.

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