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Valentino Rossi: Rücktritt? Ducati? Alles ist möglich

Von Günther Wiesinger
Valentino Rossi spannt uns weiter auf die Folter. Fährt der verlässliche Schlagzeilenlieferant bei Petronas-Yamaha weiter oder hört er auf? Oder steigt er noch einmal auf eine Ducati?

Valentino Rossi hat nach der langwierigen Vertragsunterzeichnung 2020 bei Yamaha Motor Racing und Petronas-SRT-Yamaha immer klar gestellt, dass er in der ersten Saisonhälfte 2021 entscheiden werde, ob er auch 2022 als Fahrer an der MotoGP-WM teilnehmen wird. «Wenn ich weiter um Siege, Podestplätze und gute Startplätze kämpfen kann, fahre ich weiter», lautete sein Credo.

Wenn dieser Plan noch Gültigkeit hätte, müssten wir uns keine Sekunde mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob wir die Nummer 46 auch nächstes Jahr im Startfeld sehen werden. Denn Rossis letzter Sieg liegt vier Jahre zurück, sein letzter Podestplatz ein Jahr, die Top-Ten hat er seit Misano im September in der laufenden Saison nur einmal erreicht – im sturzreichen Mugello-GP mit Rang 10.

Allein die Startplätze in der Saison 2021 sind eine einzigartige Schmach. Von 17 Punkten in neun Rennen ganz zu schweigen. Marc Márquez kassierte 2019 im Schnitt 22.1 Punkte pro Rennen!

Ein Hinweis an die üblichen Hater: Es geht hier nicht um die Bewertung der glanzvollen Karriere von Rossi, die wir seit 25 Jahren mit Lobeshymnen, unendlicher Bewunderung, grenzenloser journalistischer Dankbarkeit und manchmal sogar mit gebührender Unterwürfigkeit begleiten.

Es geht jetzt nur um die Frage: Tut sich der große Valentino Rossi einen Gefallen, wenn er mit 43 Jahren noch einmal eine Saison anhängt? Denn die Gefahr besteht, dass er seinen exzellenten Ruf weiter aufs Spiel setzt, dass er seinen Nimbus als Evergreen ruiniert und bei seinen jungen Gegnern Respekt verliert.

Das schlimmste Szenario wäre: Dass Fans, Gegner und Medien dem neunfachen Weltmeister und 115-maligen GP-Sieger im Abendrot seiner Karriere mehr Mitleid als Bewunderung entgegenbringen.

Rossi wird sich voraussichtlich bis zum Spielberg-GP am 8. August entscheiden, denn Yamaha und Petronas brauchen Klarheit, ob für das Kundenteam ein oder zwei neue Fahrer gebraucht werden. Denn Morbidelli wird Viñales im Werksteam ersetzen und weggehen.

Niemand kann sich wirklich in die Gefühlswelt von Rossi versetzen. Seine Statements in den letzten Wochen waren teils irreführend, teils nichtssagend, teils eher mit Nebelschwaden zu vergleichen.

Rossi wollte sich nicht festnageln lassen. Denn er unterliegt Gefühlsschwankungen. Bei Lichtblicken und akzeptablen Quali-Ergebnissen fasst er wieder Mut, nach den teilweise unerklärlichen Rennstürzen im hinteren Mittelfeld vergeht ihm gründlich der Spaß.

Zumindest vorübergehend. Denn Valentino ist der geborene Positiv-Denker. Er findet in jeder Situation noch einen erfreulichen Aspekt, das unterscheidet ihn gewaltig von Maverick Viñales.

Weder sein bester Freund Uccio noch sein Kumpel Kevin Schwantz können zuverlässig einschätzen, ob Rossi weiterfahren wird.

Hat Rossi noch Freude am Fahren?

Kevin Schwantz (57) sagte vor wenigen Tagen gegenüber SPEEDWEEK.com: «Valentino ist ja nicht nur nicht konkurrenzfähig. Er fliegt auch so oft runter… Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich… Wenn Vale aber immer noch einen Weg findet, um daran Spaß zu haben, dann empfehle ich ihm: ‚Keep going. Mach weiter!‘ Aber für mich besteht Spaß darin, in den Rennen vorne mitzufahren. Hinten am Ende des Feldes rumzukurven, macht keinen Spaß. Wenn ich nicht dort mitfahren konnte, wo die Musik spielte, hat mir das keine Freude gemacht.»

Kevin Schwantz, auf Suzuki Halbliter-Weltmeister 1993, trat beim sechsten Grand Prix 1995 mitten während der Saison in Mugello zurück – unter Tränen. Auch Giacomo Agostini (122 GP-Siege, 15 WM-Titel) konnte die Tränen nicht zurückhalten, als er mir im August 1977 beim 750-ccm-WM-Lauf auf dem Salzburgring erzählte, er habe sich zum Rücktritt per Saisonende entschlossen.

Viele großartige Rennfahrer mussten ihre Karrieren wegen Verletzungen beenden. Spencer, Schwantz, Doohan, Rainey und so weiter. Stoner hatte 2012 keine Lust mehr.

Valentino Rossi hat alle Altersrekorde gebrochen, er fuhr immer wieder weiter, obwohl schon 2013 mit seinem Rücktritt per Saisonende 2014 spekuliert wurde.

Während viele starke Gegner wie Gibernau, Biaggi, Melandri, Pedrosa, Dovizioso, Lorenzo und Crutchlow ihre MotoGP-Laufbahn in den letzten Jahren wegen Altersüberschreitung zwischen 30 und 35 Jahren beendet haben, weil sie keine Erfolge mehr erzielten oder von den Teams entlassen wurden (oder aus beiden Gründen aufhörten), schien Rossi das Alter nichts anhaben zu können. Das Training mit den Jungs aus der VR46 Riders Academy hielt ihn jung. Er erfand sich immer wieder neu, motivierte sich immer wieder neu, passte seinen Fahrstil an alle Bedürfnisse und Reifenkonstruktionen an.

Aber schon 2017 wurde er immer wieder von Yamaha-Markenkollegen besiegt und entzaubert. Das lässt sich nicht beschönigen. Ob es am Chassis, am Reihenmotor, an der Elektronik oder an den für ihn ungeeigneten Reifen lag, spielt längst keine Rolle mehr.

Vielleicht ist es eine Summe von allem. Vielleicht nimmt auch die Risikobereitschaft irgendwann ab, obwohl die vielen Stütze dieser Theorie widersprechen.

Immerhin wird sich Valentino Rossi nie mit dem Thema «Comeback» beschäftigen müssen. Denn unzählige Sportler von Hailwood (er fuhr mit 41 Jahren noch einmal die TT) über Ballington bis zu Schwantz, Niki Lauda und Michael Schumacher hörten zu früh auf – und kehrten auf die Rennstrecke zurück.

Wenn wir Valentino Rossi nach seinem MotoGP-Rücktritt noch bei einem motorsportlichen Kräftemessen erleben, wird das wohl im Vierradsport sein.

Aber da ich den Begriff «unmöglich» schon vor Jahrzehnten aus meinem Sprachschatz gestrichen habe, wage ich nicht einmal den Ansatz einer Prognose zur Zukunft von Rossi. Er hat uns schon zu oft in die Irre geführt.

Vielleicht schwingt er sich 2022 wirklich noch auf die Ducati Desmosedici GP22 seines neuen Aramco VR46-MotoGP-Teams. Seinen Schützling Bezzecchi könnte er ja auch zu Petronas-Yamaha transferieren.

Frischer Wind durch Tapetenwechsel?

Vielleicht würde Valentino nach so einem Tapetenwechsel seine zweite Jugend erleben. Er könnte endlich wieder einmal auf den Geraden überholen, er könnte mit allen Ingenieuren Italienisch fachsimpeln.

Als Rossi 2011 zum Ducati-Werksteam ging, war in Italien von einer im Himmel geschlossenen Ehe die Rede. Aber die zwei Jahre waren die Hölle.

Sie brachten ihn um die Chance, den Rekord von Agostini (122 GP-Siege) zu brechen.

Trotzdem hat ein Spruch Rossis aus seiner Aprilia-250-Zeit immer noch Gültigkeit: «Für einen Italiener gibt es nichts Schöneres, als auf einem italienischen Fabrikat zu gewinnen.»

Valentino steckt im Dilemma. Eine Rückkehr zu Ducati birgt für ihn gewisse Reize. Das Risiko ist überschaubar, denn schlimmer als 2021 kann es für den WM-Neunzehnten nicht werden.

Die unzähligen Rossi-Fans auf der ganzen Welt würden sich freuen. Seine treuen Hater und Neider wären ein weiteres Jahr beschäftigt und müssten sich nicht mühsam ein neues Opfer suchen.

Übrigens: Wenn ich ein auf Zeilenhonorar-Basis arbeitender Freelancer wäre, könnte ich meinen bescheidenen Lebensunterhalt seit Jahren allein mit den Rossi-Rücktritts-Storys finanzieren.

Stand Fahrer-WM nach 9 Rennen von 19 Rennen:

1. Quartararo, 156 Punkte. 2. Zarco 122. 3. Bagnaia 109. 4. Mir 101. 5. Miller 100. 6. Viñales 95. 7. Oliveira 85. 8. Aleix Espargaró 61. 9. Binder 60. 10. Marc Márquez 50. 11. Nakagami 41. 12. Pol Espargaró 41. 13. Morbidelli 40. 14. Rins 33. 15. Alex Márquez 27. 16. Bastianini 27. 17. Petrucci 26. 18. Martin 23. 19. Rossi 17. 20. Marini 14. 21. Lecuona 13. 22. Bradl 11. 23. Savadori 4. 24. Pirro 3. 25. Rabat 1.

Stand Konstrukteurs-WM:

1. Yamaha, 184 Punkte. 2. Ducati 167. 3. KTM 114. 4. Suzuki 105. 5. Honda 86. 6. Aprilia 62.

Stand Team-WM:

1. Monster Energy Yamaha, 251 Punkte. 2. Ducati Lenovo 209. 3. Pramac Racing 149. 4. Red Bull KTM Factory Racing 145. 5. Suzuki Ecstar 134. 6. Repsol Honda 98. 7. LCR Honda 68. 8. Aprilia Racing Team Gresini 65. 9. Petronas Yamaha SRT 57. 10. Esponsorama Racing Ducati 41. 11. Tech3 KTM Factory Racing 39.

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