MotoGP-Crashs: Wenn Glück im Unglück dich rettet
Valentino Rossi stürzte in Malaysia in Führung liegend
Wer verdient was im Rennsport? Manche Antworten sind offensichtlich. Marc Márquez verdient all die Unterstützung und den Erfolg, den er genießt. Rossi verdient all die Verherrlichung. Weltmeister jeder Art verdienen es, genug Geld zu verdienen, um dann gemütlich in Rente gehen zu können. Und jeder von ihnen, jeder, der schnell genug ist, sich überhaupt für einen Grand Prix zu qualifizieren, verdient den höchsten Respekt.
Was Cal Crutchlow nicht verdient hat, war die üble Verletzung am Knöchel beim GP in Australien, weswegen er mit 100-prozentiger Sicherheit den fünften Platz in der Gesamtwertung der Saison 2018 verliert und gleichzeitig auch die Spitzenposition als bester MotoGP-Privatfahrer des Jahres.
Was der Brite auch nicht verdient hat, sind die zwei schmerzhaften Operationen und die langwierige Rehabilitation, die darauf folgen wird. Und dasselbe könnte man so ziemlich über jeden Rennfahrer sagen, der sich verletzt, während er seinen Sport ausübt. Aber es gibt, ganz ehrlich, auch Einige, die den Eindruck hinterlassen, sie würden den Ärger suchen.
Aber mit Verdienen hat das nichts zu tun.
Wer bestimmt das Schicksal eines anderen, in diesem schrecklichen Moment, wenn deine Reifen den Kontakt zum Asphalt verlieren und du das unheimliche Geräusch der Verkleidung hörst, die über den Straßenbelag kratzt? Das hat viel mit Glück zu tun.
In Cals Fall war es Glück im Unglück. Viele andere Fahrer stürzten ebenfalls in der wahnsinnig schnellen Kurve 1 auf dem Phillip Island Circuit. Cal crashte mit ca. 230 km/h. Keiner von ihnen flog spektakulärer ab als Johann Zarco, der im Rennen in Australien mit 280 km/h abstieg, nachdem er Márquez’ Hinterreifen berührt hatte. Das sorgte dafür, dass sich sein Motorrad überschlug und der Fahrer über das Gras flog.
Das war erneut Glück im Unglück. Auf dem Gras rutschte der Franzose mehr als dass er rollte. Wenn er, wie Cal, auf dem Kies aufgeschlagen hätte, wäre er wahrscheinlich ziemlich schwer verletzt gewesen.
Dasselbe gilt für Márquez. Seine Sitzeinheit war nach dem Aufprall von Zarco in Phillip Island auseinandergebrochen und sein Hinterreifen wurde bei der Berührung zerschnitten. Trotzdem wackelte er nur und sagte später, dass er dachte, dass er vielleicht einen Highsider haben würde, was aber zum Glück nicht passierte – er fuhr sicher zurück in seine Box.
Mehr Glück? Was ist mit Andrea Iannone, der direkt hinter Zarco lag und in seinem Windschatten fuhr, um gegen den fehlenden Speed seiner Suzuki anzukämpfen? Wäre Zarcos Motorrad nur ein paar Zentimeter weiter gerutscht, wäre es unter Iannones Reifen gekommen.
Aber die MotoGP ist gerade so heil davongekommen.
Zarco blieb unverletzt. Genau wie Hafizh Syahrin, Steven Odendaal und einige Andere, die in der gefürchteten Doohan-Kurve glimpflich davongekommen sind. Nur Cal hat sich schwer verletzt.
Das ist ein Tribut an die moderne Sicherheits-Ausstattung. Ich denke, Cal sollte dankbar sein, dass er sich nicht den Kopf angeschlagen hat oder Schlimmeres passiert ist, auch wenn die Superstiefel, Rückenprotektoren, Känguruhhaut-Leder und ein Airbag seine üblen Fußverletzungen nicht verhindern konnten.
Crutchlow, ein selbsternannter Sturzpilot, erlitt dieses Jahr einige Crashs. 17, um genau zu sein. Aber das ist nicht der Rekord in der Königsklasse. Álvaro Bautista zählt 19; Marc Márquez führt das Feld mit 20 Stürzen an. Außer ein wenig Splitt im Auge in Misano hat er keine Verletzungen davongetragen.
Glück im Unglück.
Um fair zu sein, meistens gelten Marquez’ Unfälle als harmlose Rutscher, bei denen er die Kontrolle über den Vorderreifen verliert, wenn er, wie gewohnt, während der freien Trainings sein Limit testet. Meistens rettet er sich vor einem Sturz und wenn nicht, fällt er nicht tief, weil er sich sowieso schon so tief herunterlehnt. Aber so geschickt ziehen sich nicht alle aus der Affäre. Und Crutchlows Sturztalent hat ihm den Spitznamen «die Katze» eingebracht. Weil er immer auf den Füssen landet.
Glück im Unglück, das hatte auch Valentino Rossi bei seinem Crash in der 17. von 20 Rennrunden auf dem Sepang International Circuit. In der Runde vor seinem Sturz lag der neunfache Weltmeister noch 0,6 sec vor dem späteren Sieger Marc Márquez in Führung. Damit war der Traum vom ersten Sieg seit 497 Tagen vorbei – doch er blieb unversehrt.
Aus reinem Interesse: Der sicherste MotoGP-Fahrer ist der Gewinner des Rennens in Australien, Maverick Viñales. Er ist dieses Jahr nur zweimal gestürzt. Nach ihm kommen Dovizioso und Petrucci mit jeweils vier Stürzen. Sie folgen mit Sicherheit nicht der Márquez-Theorie, die lautet, dass man seine Grenzen austestet, indem man ans Limit und darüber hinaus schießt. Sie haben aber auch nicht so viele Rennsiege und WM-Punkte auf ihrem Konto.
Es würde aber auch niemand empfehlen, wie Marcs Theorie zu beweisen scheint, dass es notwendig ist, zu stürzen. Die Wahrheit findet sich in einem alten Sprichwort: Dass es für einen schnellen, aber sturzfreudigen Fahrer einfacher ist, zu lernen, nicht zu stürzen, als es ein sicherer, langsamerer Fahrer lernt, schnell zu sein. Aber da gibt es auch noch die Frage nach dem Überleben.
Man kann auch das Glück im Unglück herausfordern.
Wie Crutchlow musste auch der manische Forward-Moto2-Fahrer Stefano Manzi in Phillip Island und Sepang auf das Rennen verzichten. Der Sturz am Samstag auf Phillip Island, bei dem er sich am Handgelenk verletzte, war sein 31. in diesem Jahr. Damit schlägt er sogar den wenig beneidenswerten Rekord von Sam Lowes, der während der gesamten Saison 2016 nicht weniger 30 Mal auf dem Asphalt oder im Kiesbett lag.
Was bedeutet das?
Dass ein Teil der Aufregung und des Spektakels, die der Motorradrennsport mit sich bringt, damit zusammenhängt, dass wirkliche Gefahr besteht und es ein Teil der Freude ist, wenn der Fahrer damit heil davonkommt. So oft es geht. Ich bitte euch, seid sturz-freudig, aber nur solange es gut geht.
Und wenn euch bei einem Crash das blinde Glück begleitet, dann schaut bitte lieber nicht in die andere Richtung.