Beatmungsgeräte statt GP-Autos: So hilft die Formel 1

Von Mathias Brunner
​Vor wenigen Wochen wurde in der Corona-Pandemie bekannt: In ganz England gibt es nur 5000 Beatmungsgeräte für Erwachsene. Hier kann die Formel 1 mit ihrer Reaktionsfähigkeit Leben retten helfen.

Viel zu lange wurde in Grossbritannien mit der Coronakrise lasch umgegangen. Statt zu handeln, übte sich Premierminister Boris Johnson selbstgefällig in Kriegsrhetorik und prahlte sogar damit, wie er den Menschen nach wie vor die Hände schüttle. Was dann folgte – Hospitalisierung, Intensivstation. Heute ist der Premier über den Berg. 12.686 Briten haben das nicht geschafft – sie sind an der Lungenkrankheit Covid-19 verstorben.

Beim «National Health Service» (NHS), dem öffentlich finanzierten Gesundheitssystem von England, wurde früh gewarnt: Es wird knapp mit Beatmungsgeräten. 5000 davon gab es im ganzen Land für Erwachsene, 900 für Kinder. Lächerlich wenig.

Mitte März kam seitens der Regierung der Aufruf an die englische Industrie, bei der Herstellung von Beatmungsgeräten oder Teilen davon zu helfen. Die sieben Teams aus England haben spontan ihre Hilfe angeboten. Rennwagen-Ingenieure sind es gewohnt, unter hohem Zeitdruck Teile zu entwerfen und Prototypen zu bauen, für die Spezialisten aus Produktion und der Testabteilung gehört ein strammes Tempo zum Tagesgeschäft. Mercedes erklärte, dass vom ersten Treffen mit Vertretern der Uniklinik London bis zum ersten gebauten Prototypen nur 100 Stunden vergingen. Die Medizintechniker waren tief beeindruckt.

Unter dem Namen «Project Pitlane» haben die sieben in England beheimateten Rennställe (Mercedes, Red Bull Racing, McLaren, Renault, Racing Point, Haas, Williams) die Hand gereicht. Alle sieben Teams arbeiten bei «Project Pitlane» mit, einer Arbeitsgemeinschaft aus Medizintechnikern und WHS-Experten, am so genannten «Rapidly Manufactured Ventilator System», einem von der Regierung in Auftrag gegebenen Beatmungsgerät besonderer Spezifikation. Von diesem Gerät sind mehr als 10.000 Stück bestellt worden.

Team-Mitglieder von Formel-1-Weltmeister Mercedes haben zusammen mit Medizin-Ingenieuren des University College London (UCL) ein so genanntes CPAP-Beatmungsgerät entwickelt. Ein CPAP-Gerät (steht für «Continuous Positive Airway Pressure») hilft einem Covid-19-Patienten mit Lungeninfektion dabei, leichter zu atmen, wenn eine Sauerstoffstoffmaske allein nicht ausreichend ist. Dieses Gerät befindet sich nun in Produktion. 10.000 Stück sind bestellt, vierzig Maschinen brummen, die üblicherweise Turbolader und Kolben produzieren. Pro Tag sollen bis zu 1000 Geräten hergestellt werden.

In den Formel-1-Werken herrscht Pause. Aber McLaren-Teamchef Andreas Seidl sagt: «Grundsätzlich sind nur noch jene Fachkräfte am Werk, die an der Herstellung der Beatmungsgeräte arbeiten, das sind bei uns zwischen 100 und 150. Was die Formel 1 angeht, so befindet sich das ganze Team im Shutdown, also in jener Pause, die wir mit der FIA und den anderen Rennställen vereinbart haben. Die einzigen Leute, die sonst noch am Arbeiten sind – ich, zusammen mit meinen direkten Kollegen, wie Andrea Stella und James Key. Hier geht es um die Sitzungen mit dem Autoverband und mit der Formel-1-Führung sowie mit den anderen Rennställen, dazu um Entscheidungen bezüglich der Zukunft des Teams.»

Zum Project Pitlane sagt der 44jährige Passauer: «Da möchte ich ein wenig ausholen. Nachdem klargeworden war, dass es in Grossbritannien einen grossen Bedarf an Beatmungsgeräten gibt, wurden wir bei McLaren unter den Ingenieuren und bei der Produktion schnell aktiv. Wir haben zunächst mal untersucht, wie wir helfen können. Wir sind dann unter dem Schirm der Formel 1 Teil dieses Konsortiums geworden, das sich in England um dieses Projekt kümmert – zusammen mit den anderen sechs auf der Insel beheimateten Rennställen, zusammen aber auch mit verschiedenen Firmen aus der Industrie.»

«Wir verfolgen zwei Hauptrichtingen, was solche Geräte angeht. McLaren ist wie gesagt mit 100 bis 150 Spezialisten dabei, bis zu 20 Stunden am Tag. Wir unterstützen das Projekt quer durch die Firma, ob das nun Einkauf ist oder Produktion, um mit maximaler Geschwindigkeit Teile zu produzieren und der Fertigung dieser Beatmungsgeräte beitragen zu können.»

«Ich finde es sehr eindrucksvoll, mit welcher Hingabe unsere Leute sich freiwillig auf dieses Projekt gestürzt haben. In solchen Momenten spürst du, wozu ein Formel-1-Team fähig ist. Und es ist ein sehr schöner Gedanke, dass wir mit diesem Einsatz dazu beitragen können, dass Leben gerettet werden.»

Wie geht es weiter, wenn das Ziel der angestrebten 10.000 gebauten Geräte erreicht ist? Andreas Seidl sagt: «Es ist noch nicht ganz klar, ob es darüber hinaus Bedarf geben wird. Wir treiben dieses Projekt für die kommenden paar Wochen voran, dann wird alles von der Situation in Grossbritannien abhängen und auch davon, was die Regierung will.»

Und wer bezahlt das eigentlich? Andreas Seidl: «Die Kosten, die wir bei der Mitarbeit an diesem Projekt haben, werden von der Regierung übernommen.»

Im Auftrag der Regierung arbeiten diese Firmen an Beatmungsgeräten:

• Airbus
• BAE Systems
• Ford Motor Company
• GKN Aerospace 
• High Value Manufacturing Catapult
• Inspiration Healthcare Group 
• Meggitt 
• Penlon 
• Renishaw
• Rolls-Royce 
• Siemens Healthineers and Siemens UK 
• Smiths Group 
• Thales
• Ultra Electronics
• Unilever 
• Die sieben in England ansässigen GP-Teams: Haas F1, McLaren, Mercedes, Red Bull Racing, Racing Point, Renault Sport, Williams

Technische Hilfe gibt es dabei von:
• Accenture
• Arrow Electronics
• Dell Technologies
• Microsoft 
• PTC

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