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Reifendruck-Problematik: «Müssen Kompromiss finden»

Von Günther Wiesinger
LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello beschreibt die heikle MotoGP-Reifendruck-Problematik und warum er froh ist, dass die Vorschriften noch nicht in Kraft getreten sind.

Beim Mugello-GP wird die Kontrolle des Vorderrad-Reifendrucks in der MotoGP-Klasse wieder ein Gesprächsthema sein. Bekanntlich war beim jerez-GP 2022 offenkundig geworden, dass manche Fahrer wie Bagnaia dort die meiste Zeit unter den vom Michelin vorgeschriebenen Wert geblieben waren. Aber es gab 2022 keine Strafen, weil die Teams unterschiedliche Sensoren verwendeten und dadurch unterschiedliche Werte gemessen wurden.

Für 2023 wurden in Frankreich einheitliche LDL-Sensoren gekauft, und bei den Wintertests in Sepang und Portimão sowie bei den ersten drei Grand Prix sollte in einer Testphase eruiert werden, ob die neuen Systeme zufriedenstellend funktionieren. Nach dem Jerez-GP sollten danach in Le Mans Quali-Zeiten gestrichen werden, wenn die 1,88-bar-Vorschrift vorne unterschritten wurde, in den Rennen drohten sogar Disqualifikationen.

Doch bisher konnten sich die Dorna, IRTA, Teams und Werke auf keinen Zeitpunkt für die Inkraftsetzung der neuen Vorschriften einigen. Die Systeme funktionieren offenbar nicht verlässlich genug. Außerdem hängt der Luftdruck einerseits stark von der Fahrweise ab, anderseits wird er stark davon beeinflusst, ob der Fahrer im Pulk fährt oder ohne Windschatten unterwegs ist.

Diese Situation im Quali und in den Rennen lässt sich aber von den Reifenspezialisten im Team nicht vorhersehen.
Deshalb wird in und nach Mugello wieder darüber diskutiert, wie lange die Testphase noch dauern soll. Vielleicht noch die ganze Saison…

Denn Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta stellte gegenüber SPEEDWEEK.com klipp und klar fest: «Die neuen Vorschriften werden erst eingeführt, wenn die Kontrollsysteme zu 100 Prozent funktionieren.»

«Diese potenzielle neue Vorschrift würde unser Teamoperation ein bisschen komplizierter machen», sagt zum Beispiel LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello, der 2023 mit Alex Rins und Taka Nakagami antritt. «Einerseits haben wir Verständnis für Michelin, denn niedrige Reifendrücke könnte die Reifenoberfläche beschädigen und zu gefährlichen Situationen führen.»

«Denn ein niedriger Reifendruck führt zu mehr Reibung an der Karkasse, dadurch könnte sich eventuell die Lauffläche lösen, besonders bei großer Hitze und somit extrem hohen Asphalt- und Reifentemperaturen», klärt Cecchinello auf.

Wir erinnern uns mit Schauern an die erste Michelin-Einheitsreifen-Saison 2016. Damals platzte bei Loris Baz (Avintia Ducati) gleich beim Sepang-Test im Februar auf der Zielgeraden bei 300 km/h der Hinterreifen, angeblich wegen eines minimal unterschrittenen Mindestreifendrucks. Und am Samstag im FP4 in Argentinien im April 2016 löste sich bei Scott Redding (Marc VDS Honda) hinten die Lauffläche ab.

Die Teams sind aber auch mit dem Problem konfrontiert, dass der vorgeschriebene Mindestreifendruck von 1,88 bar vorne manchmal zu hoch sein könnte. Das könnte die Reifen-Ingenieure der Teams veranlassen, trotzdem mehr als 1,88 bar in den Vorderreifen zu pumpen, um einer Strafe zu entgegen. Dann besteht aber die Gefahr, dass der Grip im Vorderreifen stark nachlässt, wenn der Fahrer im Windschatten eines Pulks oder einzelnen Piloten fährt.
Sobald ein Fahrer aus dem Windschatten ausschert oder an der Spitze des Pulks befindet, sinkt die Reifentemperatur und der Druck um 10 Prozent und könnte rasch unter das Limit fallen.

Sobald die drastischen Strafen festgesetzt werden, kann also das Windschattenfahren für jeden Fahrer gefährlich werden, weil er nur für eine gewisse Zeit pro Runde im Quali und während einer gewissen Anzahl von Runden in den Rennen unter den 1,88-bar-Limit bleiben darf. Die genauen Details müssen noch vereinbart werden.

Anderseits: Wenn der Fahrer aber absichtlich aus dem Windschatten ausschert, um eine Strafe oder Disqualifikation zu vermeiden, kann der Vorderreifen durch einen zu niedrigen Druck beschädigt werden.

«Meiner Meinung nach», betont Lucio Cecchinello, selbst siebenfacher 125-ccm-GP-Sieger und 2023 schon Gewinner des Texas-GP mit Alex Rins, «sollte der aktuell vorgeschlagene ‘safety minimum tyre pressure’ ein bisschen reduziert werden, damit nicht jeder Teilnehmer sofort fürchten muss, dass er einen zu hohen Reifendruck vorne hat, sobald er im Windschatten steckt. Die Sensoren und das System funktionieren gut und zuverlässig, soweit ich das beurteilen kann. Ich hoffe, dass die Vorschriften nicht jetzt eingeführt werden. Denn ich möchte, dass die Ingenieure und die Michelin-Techniker im Interesse der Sicherheit noch einen guten Kompromiss finden.»


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