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Joan Mir: Warum nicht nur Honda verantwortlich ist

Von Manuel Pecino
Honda-Neuzugang Joan Mir, der MotoGP-Weltmeister von 2020, steckt in einer Krise. «Ich hatte nicht erwartet, dass es einfach sein würde. Es zu sagen ist eine Sache, zu erleben eine andere.» Eine Analyse.

Die Beurteilung einer Situation, in der subjektive Faktoren vorhanden sind, ist kompliziert. Aus der Sicht der Ingenieure, ist das, was nicht in Zahlen ausgedrückt werden kann, nicht zuverlässig.

«In solchen Fällen ist es am besten, auf die Statistiken zurückzugreifen, die zwar nicht zu 100 Prozent verlässlich sind, aber einen Trend aufzeigen», meinte einer von ihnen kürzlich, als es um die Kontroverse ging, die von einem mutmaßlich übermäßig aggressiven Fahrer ausgelöst wurde.

Das ist auch die Methode, mit der wir Joans Mirs schwierigen Start in die Saison evaluieren werden: Dass es nicht rund läuft für den Repsol-Honda-Neuzugang, ist offensichtlich. Wenn man sich aber seine Zahlen ansieht, sind die tatsächlich erschreckend.

Die Zahlen

Die Statistik ist das ungenauste Teilgebiet der Mathematik, aber in Joan Mirs Fall offenbart sie eine eindeutige Situation, ganz egal, aus welchem Blickpunkt man sie analysiert. In den acht bisher ausgetragenen Rennen der laufenden Saison (vier Sprints und vier Rennen über die lange Distanz) sah er die Zielflagge nur zwei Mal. Der elfte Platz aus Portugal steht als Bestleistung zu Buche. Fünf Mal stürzte Mir, in Argentinien stand er am Sonntag nach dem Sprint-Unfall nicht mehr in der Startaufstellung.

Nach dem Spanien-GP führt Mir in der unrühmlichen Wertung der Crash-Könige aller Klassen – inklusive der verrückten Moto3. Allein an den GP-Wochenenden stürzte der 25-jährige Mallorquiner in dieser Saison bereits acht Mal. Genauso oft stürzte er in der gesamten Saison 2021; nur drei Mal mehr an den 20 GP-Wochenenden des Jahres 2022 – und 2023 sind gerade einmal vier Grand Prix absolviert.

Wenn man versucht, etwas Positives herauszulesen, zeigen diese Zahlen immerhin, dass Mir alles gibt, um mit Honda, selbst auf der Suche nach einem Wettbewerbsvorteil, konkurrenzfähig zu sein. Eine Dynamik, die übrigens auch bei Pol Espargaró und Alex Márquez auf der RC213V zu beobachten war. Beide mussten als Honda-Piloten mehr als 20 Stürzte pro Saison hinnehmen.

Wie im Fall von Espargaró und dem jüngeren Márquez passieren Mir die Stürze nicht etwa im Kampf um Top-Platzierungen, sondern am Ende des Feldes… Eine komplizierte Situation.

Der Ursprung reicht weit zurück

Es wäre nicht fair, nur Honda für die Krise von Joan Mir verantwortlich zu machen. Die Zahlen zeigen auch einen anderen Aspekt der Wahrheit auf. Zum Teil ist der Ursprung von dem, was jetzt passiert, beim Spanien-GP 2022 zu finden, als Suzuki den MotoGP-Ausstieg ankündigte.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Joans Saison 2022 durchwegs akzeptabel verlaufen, mit drei sechsten Rängen und einem vierten Platz. Nach der Ankündigung seines damaligen Arbeitgebers kollabierte die Performance des Weltmeisters von 2020 regelrecht. Ein Sturz folgte auf den anderen und während sein Teamkollege Alex Rins auf der GSX-RR noch ein spektakuläres Finish mit Siegen auf Phillip Island und in Valencia hinlegte, hatte Mir Mühe, auch nur in die Top-10 zu kommen.

Lassen wir wieder die Zahlen sprechen: In den jüngsten 22 MotoGP-Rennen, die Mir bestritt, kreuzte er die Ziellinie nur sieben Mal. Dabei kam er nur drei Mal in die Top-10 und nie auf das Podest. Die WM 2022 beendete er als 15., aktuell liegt er in der Tabelle auf Rang 20, hinter Marc Márquez, der sich beim WM-Auftakt in Portimão verletzte.

Wie alle Statistiken mögen auch die Zahlen von Joan Mir mit Nuancen gespickt sein, dennoch spiegeln sie eine schwierige Realität wider. Natürlich wollten wir mit Joan selbst darüber sprechen, aber sein Umfeld sagte uns, jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt, um zu viel zu reden. «Jetzt geht es darum, zu arbeiten und dieses Projekt voranzutreiben, was auch immer dafür nötig ist.»

Am Rande des Spanien-GP räumte Mir zuletzt aber ein, dass so eine Sturzserie früher oder später im Unterbewusstsein Spuren hinterlassen wird. «Jeder Crash wird in deinem System gespeichert, auf lange Sicht wirkt sich das aus. Noch ist das nicht der Fall, aber es stimmt, dass jeder Sturz an deinem Vertrauen knabbert… Wenn du in die Kurve einlenkst und das Gefühl hast, dass du ein bisschen mehr Speed brauchst, lehnt du dich ein bisschen mehr in die Kurve, um ein bisschen schneller zu sein – und bum! – liegst du am Boden. Es passiert jedes Mal, wenn du ein bisschen schneller sein willst, und am Ende fragst du dich: ‚Wie soll ich das machen? Ich brauche mehr Kurvenspeed, aber ich kann mich nicht mehr in die Kurve lehnen…‘ Das ist das, was passiert.»

«Ich denke nicht, dass unser Motorrad an der Front kritisch ist. Es geht einfach darum, dass unser Top-Speed nicht fantastisch ist und dass unser Grip nicht fantastisch ist… Also versuchst du, im Kurveneingang etwas gutzumachen, das Bike aber lässt es einfach nicht zu. Wir müssen den Top-Speed ein bisschen verbessern, ein bisschen den Grip, ein bisschen da und dort, und Schritt für Schritt aufholen», schilderte der Honda-Neuzugang.

«Man muss es relativ ruhig angehen, Geduld haben und versuchen, kleine Schritte nach vorne zu machen. Es ist schwierig… Ich hatte nicht erwartet, dass es einfach sein würde, als ich hierhergekommen bin, aber es ist klar, dass es eine Sache ist, das zu sagen, und eine andere, es dann auch zu erleben. Nein, ich genieße es nicht», gestand Mir.

Frust nach dem Jerez-Test

Der Montag-Test in Jerez war nach dem Grand Prix wichtig, um diese Schritte nach vorne zu machen, von denen Mir gesprochen hatte. Er und seine Markenkollegen hofften auf ein Licht am Ende des Tunnels, in ihren Kommentaren am Ende des Tages konnten sie aber ihren Frust nicht verbergen. Selbst Takaaki Nakagami, der sich üblicherweise in Zurückhaltung übt, bezeichnete den Test als enttäuschend.

Mir äußerte sich weniger direkt, aber auch er sprach von einem chaotischen Test-Tag. Ein Tag, an dem er einmal mehr einen Crash fabrizierte, um genau zu sein in Kurve 6, wo er schon am Wochenende zweimal gestürzt war. Es ist die Kurve mit dem härtesten Bremspunkt der Strecke.

«Wir haben verschiedene Verkleidung getestet. Ich glaube, dass es bei der Aerodynamik an diesem Motorrad viel Raum für Verbesserungen gibt. Eines der Aero-Pakete schien uns ein bisschen zu helfen, das Turning in den schnellen Kurven zu verbessern und die Wheelie-Neigung zu verringern. Es schien da Bike ein bisschen verbessert zu haben», erzählte Mir. «Dann aber bin ich gestürzt, deshalb hatten wir keine Verkleidung mehr, weil wir von jeder Variante nur ein Exemplar hatten. Deshalb waren wir gezwungen, wieder zur Standard-Verkleidung zurückzugehen, was dann ein bisschen schlechter war.»

Als der Honda-Werksfahrer dann das neue Kalex-Chassis testen sollte, bremste ihn ein Elektrik-Problem nach nur fünf Kurven aus. «In der einen Runde habe ich gemerkt, dass dieses Chassis ganz anders war, ein anderes Chassis-Konzept. Es hatte positive Aspekte, aber ich möchte nichts überstürzen. Dass das Bike einfacher zu fahren ist, ja, aber hier geht es darum, schneller zu sein.»

Wo ansetzen?

Der Blick auf die Statistik und die Worte von Joan zeichnen kein besonders schmeichelhaftes Bild. Er scheint jene Tugend verloren zu haben, die ihn zum MotoGP-Weltmeister gemacht hat, seine solide Zuverlässigkeit. Es ist entscheidend, dass er diese Konstanz wiedererlangt, für ihn und für die, die dafür sorgen müssen, dass sein Motorrad konkurrenzfähig ist.

Wenn er sich als zweifacher Weltmeister in einer Position wiederfindet, die nicht seinem Status entspricht, ist es verständlich, dass er versucht, einen größeren Schritt zu machen, als in seiner aktuellen Situation möglich ist, was letztendlich zu Fehltritten und frühen Stürzen führt. Das muss er als erstes korrigieren.

Erlaubt ihm seine RC213V im Moment nicht mehr als einen 15. Platz, dann sei es so. Mit der Erfahrung und den gesammelten Daten werden er und seine Techniker dazu in der Lage sein, Fortschritte zu erzielen. Es wird aber keinen Fortschritt geben, wenn diese Erfahrung oder Daten aus den Rennen fehlen.

Die aktuelle Situation von Joan Mir erfordert Gelassenheit – ein Begriff, der mit dem Geist des Rennsports scheinbar nicht vereinbar ist, aber für den Moment besteht die Hauptaufgabe des Mallorquiners mehr darin, sich zu verbessern als mit den anderen zu konkurrieren.

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