Vor GP-Brasilien: Wie José Carlos Pace zu Moco wurde
Die Fans waren immer schon überaus einfallsreich, wenn es darum ging, ihren Lieblingsfahrern Kosenamen zu verleihen. Wir wollen einige Spitznamen aus dem Grand-Prix-Sport und ihre Herkunft beleuchten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit reichlich Augenzwinkern.
Carlos Pace (BR) – «Moco»
Am 18. März 1977 kam José Carlos Pace in seiner Heimat Brasilien bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, sein Pilot hatte in einem Gewitter die Orientierung verloren. Pace und sein Brabham waren ein starkes Duo; ein Witz, dass ein Fahrer seines Talents nur einen Grand Prix gewonnen hat, 1975 das Heimrennen in Interlagos. Sein Spitzname «Moco» geht auf mehrere Gründe zurück. Er lehnt sich einerseits an einen der sieben Zwerge an, den Ruhigen. Und ruhig war der junge Carlos, weil seine Eltern nach seiner Geburt von Brasilien in die alte Heimat Italien zogen, dann aber doch wieder nach Lateinamerika. Carlos sprach besser italienisch als portugiesisch, also sagte er in Brasilien lieber wenig bis gar nichts. Im italienischen Dialekt kann «moco» für stumm stehen. Die Gleichaltrigen in Brasilien fanden den Namen «Moco» zum Wiehern, denn in ihrer Sprache ist das auch, was man sich bisweilen so aus der Nase holt.
Carlos Reutemann (RA) – «Lole»
Der Argentinier schlug ein wie ein Blitz in der Formel 1: Pole-Position am ersten WM-Wochenende, ausgerechnet vor seinem eigenen Publikum in Buenos Aires 1972. Später stand sich der Mann mit dem Aussehen eines römischen Feldherrn ein wenig selber im Weg herum: An einem guten Tag so gut wie unschlagbar, an einem schlechten in Selbstzweifel verfallend, zahnlos fahrend. Leider passierte ihm das im wichtigsten Rennen seiner Formel-1-Karriere, als es in Las Vegas 1981 gegen Nelson Piquet um den WM-Titel ging. Insgesamt gewann «Lole» zwölf Rennen und wurde später Gouverneur und Senator der Provinz Santa Fé. Aber wieso Lole? Der Spitzname geht nach eigenen Aussagen zurück auf die Kindheit. Carlos liebte Tiere und hüpfte entzückt Ferkeln hinterher, in spanischer Sprach «los lechónes», daraus wurde «Lole».
Denny Hulme (NZ) – «The Bear»
Der Neuseeländer Denny Hulme war ungefähr das Gegenteil eines redseligen Selbstverkäufers. Öffentliche Auftritte waren für ihn furchtbar, er war ein Mann des Leitsatzes «Lasst Taten sprechen». Der Formel-1-Weltmeister von 1967 wurde Bär genannt, weil er mit aufdringlichen Zeitgenossen recht ruppig werden konnte und am liebsten seine Ruhe hatte. «The Bear» passte auch gut zu seinem Körperbau, es brauchte schon einiges, um einen CanAm-McLaren so schnell wie er um die Ecken zu wuchten. Als Jody Scheckter 1973 zu McLaren kam, passte das wunderbar – der junge Südafrikaner war vergleichbar grummelig. Worauf ihm die Presse glatt den Spitznamen «Baby Bear» verpasste.
Jean-Pierre Jarier (F) – «Godasse»
Ein Godasse ist ein alter Schuh, ein Schlapfen, ein Treter, Latschen eben. Der Franzose Jean-Pierre Jarier erhielt den Namen von einem befreundeten Fotografen, im Ganzen eigentlich «godasse de plomb», was wir als Bleifuss bezeichnen würden. Tatsächlich stand der Speed von Jean-Pierre ausser Frage, auch wenn es bei 135 GP-Einsätzen nie zu einem Sieg gereicht hat. Jarier musste über den Spitznamen immer ein wenig schmunzeln, denn er meinte: «Eigentlich passte das gar nicht zu mir, denn ich pflegte einen eher flüssigen Fahrstil.»
John Surtees (GB) – «Big John»
Was John Surtees erreicht hat, ist einmalig: Er ist über seinen Tod im März 2017 hinaus der einzige Rennfahrer, der WM-Titel sowohl in der Motorrad-WM (vier Mal 500er, drei Mal 350er Champion) als auch in der Formel-1-WM (1964 Weltmeister mit Ferrari) erringen konnte. Ganz abgesehen davon, dass er anschliessend seinen eigenen Rennstall gründete und Formel-1-, Formel-2- sowie Formel-5000-Autos baute. Oder dass er erster CanAm-Champion geworden war und auch im Sportwagen als absoluter Top-Pilot galt. Das Etikett «Big John» erhielt er von den Tifosi, die grosse Verehrung für den Briten zeigten.
Niki Lauda (A) – «The Rat»
Es scheint wenig schmeichelhaft zu sein, Ratte genannt zu werden. Der Spitzename, den viele Briten dem Wiener Formel-1-Piloten verpassten, ging keineswegs auf ein fragwürdiges Pistengebaren zurück. Niki Lauda fuhr hart, aber immer fair. Nein, «The Rat» bezog sich auf die leicht vorstehenden Schaufeln. Im deutschen Sprachraum hat sich die Bezeichnung nie durchgesetzt.
Mike Hailwood (GB) – «Mike the Bike»
Im Zweiradsport war der Engländer so überragend, dass sein Vorname mit dem Motorrad verbunden wurde: 9 WM-Titel, 76 GP-Erfolge, 14 Siege auf der Isle of Man, noch Fragen? 1972 wurde er Formel-2-Europameister, aber sein Potenzial auf vier Rädern wurde in der Formel 1 nie erschlossen – 1974 zog er sich bei einem Crash auf dem Nürburgring schwere Beinverletzungen zu. Was ihn nicht davon abhielt, später ein Comeback auf dem Motorrad zu geben und weiter zu siegen. Hailwood hatte Mut ohne Ende. Natürlich war er es, der 1973 in Südafrika den Tessiner Clay Regazzoni aus dem brennenden BRM holte.
Giuseppe Campari (I) – «El Negher»
In den 20er und 30er Jahren war der Italiener ein Star, im Einsitzer so gefürchtet wie mit dem Sportwagen. Campari war hinter dem Lenkrad keine Zimperliese, von den Gegnern gefürchtet, jeder Gefahr höhnisch ins Gesicht lachend. «El Negher» war eine Abwandlung im Mailänder Dialekt von «il negro», dem Schwarzen, weil Campari einen dunklen Teint hatte und in der Sonne tiefbraun wurde. In Monza 1933 wurde Campari vom Glück verlassen – tödlicher Unfall, nachdem er auf einem Ölfleck die Kontrolle über seinen Wagen verloren hatte.
Rudolf Caracciola (D) – «Der Regenmeister»
Für die Deutschen war der Mercedes-Star einfach «Carratsch», die Briten nannen ihn ehrfürchtig «Regenmeister» – wobei die meisten von ihnen wirklich das deutsche Wort benützten. Rudolf Caracciola, Sohn eines Remagener Hotelbesitzers mit italienischen Ahnen, war in den 20er und 30er Jahren einer der grössten GP-Stars. Vor allem der Nürburgring war gewissermassen sein Wohnzimmer, er gewann sechs Mal den Grossen Preis, oft bei misslichsten Wetterbedingungen, daher sein Spitzname. Caracciola wurde in den 30er Jahren drei Mal Europameister, was der heutigen Formel-1-WM entspricht. Dazu wurde er drei Mal Berg-Europameister.
Ronnie Peterson (S) – «Superswede»
Ronnie Peterson, «Superswede», der Super-Schwede: Der Vergleich mit dem Comic-Helden Superman ist nicht unangemessen, denn die Fahrzeugbeherrschung des legendären Ronnie Peterson war nicht von dieser Welt. Sein March-Stallgefährte Niki Lauda sagt: «Ich kannte keinen, der ein Formelauto so quer um die Ecken fuhr, aber jederzeit die Kontrolle behielt. Ich konnte nicht begreifen, wie er es schaffte, nicht von der Bahn zu fliegen.» 1971 wurde Peterson mit March überraschend WM-Zweiter, 1978 hätte er Weltmeister werden müssen, doch für Lotus-Teamchef Colin Chapman war ein US-amerikanischer Champion wichtiger, und das war nun mal Mario Andretti. Peterson reihte sich brav ein. Er starb 1978 in Italien nach einem Startunfall an einer Fettembolie.
Alberto Ascari (I) – «Ciccio»
Anfang der 50er Jahre einer der weltweit besten Rennfahrer: Er siegte bei 13 seiner 32 WM-Läufe, er stand 14 Mal auf Pole, er wurde Weltmeister mit Ferrari 1952 und 1953. Bis heute ist er der letzte italienische Formel-1-Champion. Von Belgien 1952 bis Belgien 1953 gewann er durchgehend, wenn wir das Indy 500 ausklammern, das damals zwar zur WM gehörte, aber kaum Formel-1-Fahrer anlockte. Markenzeichen von Ascari: Blauer Helm, blaues Hemd, das sich über seinen Bauchansatz spannte, daher der Spitzname der gnadenlosen Tifosi, «ciccio», Dickerchen. Ascari starb am 26. Mai 1955 bei Testfahrten in Monza, nur wenige Tage, nachdem er in Monaco samt Auto ins Hafenbecken gestürzt war, dabei aber so gut wie unverletzt blieb. Die genauen Umstände von Ascaris Unfall in Monza wurden nie geklärt. Völlig ungewöhnlich für den abergläubischen Ascari hatte er sich beim Sportwagentest von Eugenio Castellotti dessen Helm ausgeliehen und um den Wagen gebeten. Seine Erklärung: «Wenn man vom Pferd fällt, dann ist es am besten, wenn man gleich wieder aufsitzt.»
James Hunt (GB) – «Hunt the Shunt»
In der Anfangsphase seiner Rennkarriere war der Engländer James Hunt, was die Briten «an accident about to happen» bezeichneten, ein Unfall in der Entstehung gewissermassen. Hunt zerlegte so viele Renner, dass die reimfreudigen Briten seinen Nachnamen Hunt mit «shunt» verbanden. James liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen, ging seinen Weg und wurde 1976 Formel-1-Weltmeister.
Kimi Räikkönen (FIN) – «Iceman»
Nach einem Jahr bei Sauber kaufte Ron Dennis den hochbegabten Finnen aus dessen Vertrag aus, ab 2002 war Kimi McLaren-Fahrer. Ron Dennis nannte Räikkönen aufgrund seiner kühlen Art zunächst «Ice-Kid». Doch das fand wenig Anklang, zumal Kimi ziemlich schnell vom Jungen zum Mann reifte – damit war «Iceman» gefunden, Kimi selber liess sich das 2008 auf den linken Unterarm tätowieren und fährt auch mit entsprechendem Schriftzug an der Rückseite seines Helms. Es kam sogar ein alkoholisches Mischgetränk dieses Namens auf den Markt.
Maurice Trintingnat (F) – «Petoulet»
Nach dem zweiten Weltkrieg trat der Franzose beim Rennen im Wald von Boulogne 1945 mit einem Bugatti an, der jahrelang Ratten als Wohnhaus und Toilette gedient hatte. Die Hinterlassenschaften der Nager heissen auf französisch «petoules».
Vittorio Brambilla (I) – «The Gorilla from Monza»
Ernesto («Tino») Brambilla hat in seinem Buch über seinen Bruder geschrieben: «Eigentlich war ich der Wilderere von uns beiden.» Dennoch hat Vittorio den Spitznamen Gorilla abbekommen. Dies aufgrund seiner bulligen Physis, seines steinezerquetschenden Händedrucks, und einer, nennen wir es mal rustikalen Fahrweise. Brambilla war jedoch ein Mann mit zwei Gesichern. Im Fahrerlager die Ruhe in Person und sehr beliebt, auf der Bahn gefürchtet. Am glücklichsten war Brambilla, wenn er in seiner Werkstatt an Autos schrauben konnte. Dann war er kein Gorilla, sondern eher ein Lämmchen.
Nigel Mansell (GB) – «Il Leone»
Die Tifosi haben den Mut von Nigel Mansell grenzenlos bewundert. Wenn der Engländer 1989 und 1990 in seinen Ferrari kletterte, dann wussten die italienischen Fans, Mansell würde alles geben, der Brite war eine Feuerwerkgarantie. Daher tauften sie ihn ehrfurchtsvoll «il leone», den Löwen.
Clay Regazzoni (CH) – «Der Unzerstörbare»
Mit seinem Formel-3-Renner rutschte Clay Regazzoni in Monaco Richtung Leitschiene. Geistesgegenwärtig riss der Tessiner den Kopf zur Seite, als sein Auto unter den Stahl geschoben wurde. Ohne die blitzschnelle Reaktion wäre er geköpft worden. 1973 sass er in Südafrika im Feuer, Mike Hailwood rettete ihm das Leben, er zog den ohnmächtigen Clay aus dessen BRM. Aber endgültig wurde der beliebte Schweizer zum Unzerstörbaren, als er sich vom schweren Unfall 1980 in Long Beach nicht brechen liess und selbst als Rollstuhlfahrer wieder Rennen und Rallyes fuhr, darunter die Paris-Dakar.
Jack Brabham (AUS) – «Black Jack»
Der Australier erhielt seinen Namen nicht nur, weil der dreifache Formel-1-Weltmeister schwarze Haare hatte, sondern auch eine dunkle Seite. Sein Pistenrivale Sir Stirling Moss weiss: «Wenn es darum ging, vorne zu bleiben, war Jack bei der Wahl seiner Mittel keine Zimperliese. Da ist er schon mal am Pistenrand gefahren, um dich mit einem Schauer Kiesel einzudecken.» Brabham wirkte für viele unnahbar, verschlossen, abweisend. Aber er hatte auch einen drolligen Humor. Als immer mehr Zeitungen schrieben, er sollte vielleicht an Rücktritt denken, tauchte er in Zandvoort 1970 mit angeklebtem Rauschebart und einem Krückstock auf.
Luigi Fagioli (I) – «The old Abbruzzi robber»
Jetzt wird es bizarr, denn in Italien nannte kein einziger Rennfan den früheren Alfa- und Mercedes-Star Luigi Fagioli «Räuber» und schon gar nicht aus den Abbruzzen, denn Fagioli stammte aus Osimo unweit der Ostküste Italiens. Freunde und Verwandte nannten ihn vielmehr «Gigi», was mehr Sinn ergibt. Vielleicht wurde Fagioli der Spitzname durch die britische Presse verliehen, was angesichts einiger stattlicher Wutausbrüche kein Wunder war. Der langjährige Mercedes-Teamchef Alfred Neubauer erzählte in seinen Memoiren jedenfalls davon, wie Fagioli nach einem harten Pistenkampf mit einem Hammer auf Rudolf Caracciola losging. Mechaniker mussten den Italiener aus der Box werfen. In anderen Berichten ist sogar davon die Rede, dass der Italiener mit einem Messer herumfuchtelte.
Juan Manuel Fangio (RA) – «Il maestro»
Nichts wäre passender als der Name, den die Fans dem Argentinier Juan Manuel Fangio in aller Hochachtung verliehen. Kein Pilot wurde mit mehr verschiedenen Formel-1-Rennwagenherstellern Weltmeister – 1951 mit Alfa Romeo, 1954 mit Mercedes-Benz und Maserati, 1955 mit Mercedes, 1956 mit Lancia und Ferrari, 1957 mit Maserati. Aber eigentlich hat uns besser gefallen, wie die Mitglieder seiner früheren Fussball-Elf Fangio genannt haben: «el chueco», den Krummbeinigen. Juan Manuel nahm seinen Kollegen das nicht krumm.
José Froilán González (RA) – «The Pampas Bull»
Wer González am Lenkrad sägen sah, stellte keine Fragen mehr, wieso er «Pampas-Bulle» genannt wurde. Mit kraftstrotzenden Armen und einem Stiernacken ging der Argentinier seiner Arbeit nach und wuchtete seine Renner um die Ecken. Auch hier hatte der Racer zuhause einen anderen Spitznamen, da nannten sie ihn «el cabezón», was einen feinen Doppelsinn birgt. Denn José Froilán – erster GP-Sieger mit Ferrari, in England 1951 – hatte nicht nur einen grossen, runden Kopf, sondern konnte auch ein echter Dick- oder Starrkopf sein.
Alain Prost (F) – «Der Professor»
Der Franzose fuhr selten so schnell, wie er nur konnte, sondern eher so schnell, wie er musste, um das bestmögliche Ergebnis zu erringen. Lag der Wagen nicht perfekt oder fand er die Pistenverhältnisse nicht nach seinem Geschmack, so war er keiner, der über sich hinauswuchs. Seine überaus methodische Arbeitsweise, mit einem scharfen Auge für jedes Detail, das von Vorteil sein konnte, sowie seine überdurchschnittliche Rennintelligenz erzeugten bei seinen Gegnern enormen Respekt. Er trägt zwar keinen Uni-Titel, dafür wurde Alain 1987 zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, vom Staatspräsidenten François Mitterrand. Es handelt sich um die höchste Auszeichnung Frankreichs für eine Zivilperson.