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Romain Grosjean (Haas): Seine fünf Schutzengel

Von Mathias Brunner
Überlebenszelle und Halo: Zwei der Schutzengel von Romain Grosjean

Überlebenszelle und Halo: Zwei der Schutzengel von Romain Grosjean

​Es besteht kein Zweifel: Noch vor wenigen Jahren hätte Romain Grosjean bei einem Unfall wie am 29. November 2020 sein Leben verloren. Es waren vor allem fünf Faktoren, die ihn gerettet haben.

Romain Grosjean hat in Arabien einen fürchterlichen Unfall überlebt, mit Verbrennungen an den Händen ist der 34jährige Genfer verhältnismässig glimpflich davongekommen. Der Haas-Fahrer wechselte nach dem Start zum Grossen Preis von Bahrain am Ausgang der dritten Kurve die Fahrbahnseite, dabei geriet er mit dem AlphaTauri von Kvyat aneinander, weil er wohl den Abstand zum Auto des Russen falsch eingeschätz hatte, dann schoss Romains Wagen rechterhand in die Leitschienen, trotz blockierender Räder mit rund 200 km/h.

Das Perfide dann: Der Wagen wurde durch zwei Leitschienen hindurchgezwängt, dabei wurde der hintere Teil des Wagens von der Überlebenszelle gerissen, ein riesiger Feuerball entstand. Um genau zu sein, drang der Wagen zwischen die erste und zweite Etage der dreistöckigen Leitschienen. Der Wagen schmirgelte durch die Schienen und wurde dann an einem Befestigungspfosten auseinandergefetzt, aus abgerissenen Leitungen trat Kraftstoff aus, ein Feuerball stieg auf – der hintere Wagenteil blieb vor den Leitschienen liegen, Vorderachse und Nase wurden von der Aufprallenergie zerrieben, die Überlebenszelle blieb in den Leitschienen stecken.

Grosjean sass rund 25 Sekunden lang in den Flammen, Rennanzug und Overall sind dafür entworfen, einem solchen Feuer mindestens eine Minute lang zu widerstehen. Der Genfer krabbelte selber aus dem Wagen und warf sich in die Arme des heraneilenden Rennarztes Ian Roberts, ex-Rennfahrer Alan van der Merwe, Fahrer des Medical-Car von Roberts, war mit einem Feuerlöscher zur Stelle.

Das Vermächtnis von Jules Bianchi

Dass Romain Grosjean in Bahrain überlebt hat, geht auch auf den schweren Unfall von Jules Bianchi in Suzuka 2014 zurück. Der Südfranzose war beim Grossen Preis von Japan auf regennasser Bahn von der Strecke geraten und in jenen Kranwagen gekracht, der ausgerückt war, um den liegengebliebenen Rennwagen von Adrian Sutil wegzuzerren. Bianchi fiel in ein tiefes Koma, aus dem er nicht mehr erwachte, im Sommer 2015 hörte sein Herz auf zu schlagen.

Mein Kollege Julien Fabreau kommentierte den Grand Prix von Bahrain am 29. November für den Bezahlsender Canal+. Plötzlich brach er in Tränen aus. Der Grund: Er hatte eine Nachricht von Christine Bianchi erhalten, der Mutter von Jules. Sie schrieb in ihrer SMS, die Fabreau vorlas: «Sie haben nach dem Tod meines Sohnes den Halo eingeführt, heute hat der Halo Romains Leben gerettet. Das ist grossartig. Ich bin froh, dass er okay ist.»

FIA-Präsident Jean Todt wusste 2014: Der Kopf der Fahrer musste endlich besser geschützt werden. Die Sicherheitsexperten des Autosport-Weltverbands FIA hatten schon seit Jahren an einem Schutz vor grösseren Trümmerteilen geforscht. Mercedes schlug 2015 das Konzept des Halo (Heiligenschein) vor, die FIA hat es verfeinert. Mercedes hat auch den Namen erfunden.

Die ersten Prototypen bestanden aus Stahl. Der heutige Halo ist aus Titan gefertigt und wiegt nur 9 Kilogramm. Der Bügel muss einen Druck von 116 KiloNewton von oben aushalten (das entspricht fast 12 Tonnen), 46 kN von vorne (4,7 Tonnen) und 93 kN von der Seite (9,5 Tonnen).

Einige Fahrer äusserten sich negativ über den Halo. Lewis Hamilton, Max Verstappen und Nico Hülkenberg monierten die Ästhetik, andere glaubten, die Sicht würde entscheidend eingeschränkt, wieder andere glaubten, ein Fahrer wäre gefangen, bliebe der Wagen kopfüber liegen.

Alle Argumente wurden entkräftet: Das Argument Ästhetik wirkt jämmerlich, wenn Menschenleben gerettet werden können. Mir selber geht es wie Millionen von Fans: Ich fand den Bügel am Anfang auch klobig und hässlich, wie ein Fremdkörper, aber nach kurzer Zeit nahm ich ihn überhaupt nicht mehr wahr.

Die Fahrer merkten: Die Sicht bleibt genügend gut, auch dieser Einwand verflog. Und was ein umgestürztes Auto angeht: Mit aufgesetztem Halo ist der vordere Teil des Chassis sogar weiter vom Boden entfernt als ohne. Die FIA führte entsprechende Versuche durch, die Testpersonen konnten problemlos aus dem Wagen krabbeln. So wie auch Lance Stroll, dessen Racing Point-Renner von Kvyat ausgehebelt worden war.

Romain Grosjean: Die fünf entscheidenden Faktoren

Dass Romain Grosjean noch am Leben ist, geht vorrangig auf fünf Faktoren zurück. Der Halo ist dabei genau so wichtig wie die Überlebenszelle, die seit Jahren fast jedes Jahr härteren Belastungstests widerstehen muss.

Mitentscheidend ist, dass Grosjean nicht das Bewusstsein verloren hatte und sich selber aus der schräg festklemmenden Fahrerzelle schlängeln konnte. Dabei spielte ebenfalls eine Rolle, wie die Überlebenszelle in den Leitschienen steckenblieb – genau so, dass eine Lücke für den Rennfahrer blieb, um sich aus der lebensgefährlichen Situation zu befreien.

Letzter Faktor schliesslich das schnelle Eingreifen von Streckenposten und Rennarzt. Die Streckenposten von Bahrain geniessen einen hervorragenden Ruf, weit über die Landesgrenzen hinaus. Als erstmals ein Grossen Preis von Indien ausgetragen wurde, liess man die Spezialisten aus Bahrain einfliegen, um die Arbeit an der Rennstrecke zu erledigen. Bei Grosjean waren die ersten Löscharbeiten rund zehn Sekunden nach dem Aufprall im Gange.

Seit Jahren folgt der Mercedes des Ärzte-Teams dem Feld in der ersten Runde, um bei einem Unfall möglichst schnell vor Ort zu sein, das Medical-Car wird von Ex-Racer Alan van der Merwe gelenkt, neben ihm sitzt Formel-1-Chefarzt Ian Roberts, der 2013 Nachfolger von Gary Hartstein wurde.

Der ehemalige Rettungshubschrauber-Arzt und Experte für Intensiv- und Narkosemedizin Roberts hatte jahrelang als Chefrennarzt beim Grossbritannien-GP in Silverstone Rennstreckenluft schnuppern können. Er ist auch als Berater in vielen motorsportlichen Gremien tätig, unter anderem auch im FIA-Institut und in der britischen Motorsport-Vereinigung.

Für Ian Roberts steht fest: «Es war diese ganz besondere Kombination aus Faktoren, welche das Leben von Grosjean gerettet hat. Hätte nur ein Faktor gefehlt, dann hätte das ganz anders ausgehen können.»

FIA-Untersuchung: Viele Fragen

Die FIA hat eine Untersuchung eingeleitet, wie Formel-1-Rennleiter Michael Masi bestätigt hat. «Bei jedem Zwischenfall leitet die FIA eine eingehende Untersuchung ein, schon während des Rennens haben wir damit begonnen, alle verfügbaren Informationen zu sammeln, dazu gehörten Aufnahmen aus allen möglichen Winkeln. Unsere technischen Teams haben viele Bilder gesammelt, auch vom Unfallwagen, der zum Team zurückgebracht wurde.»

«Nun wird alles bis ins kleinste Detail untersucht, um herauszufinden, welche Lehren wir aus diesem Zwischenfall ziehen können. Wir schauen uns jeden Aspekt an, von der Sicherheit des Autos, über die Fahrer-Ausrüstung bis hin zur Strecke.»

Es werden Fragen gestellt wie: Hätten die Leitschienen an jener Stelle nicht mit Reifenstapeln gesichert sein müssen? Wie konnte der Rennwagen von Grosjean zerbrechen? Wird die Gefahr Feuer unterschätzt? Wie müssen Sicherheitskräfte vorgehen, sollte ein Fahrer bei einem vergleichbaren Unfall ohnmächtig im Auto liegen?

Schnelle Antworten wird es nicht geben. Beim Bianchi-Unfall dauerte es bis zur Unfallanalyse der FIA gut zwei Monate.

Für viele Fahrer, Fans und Journalisten kam der Unfall von Jules Bianchi in Suzuka 2014 wie ein Hammerschlag. So wie auch der tödliche Unfall des Formel-2-Fahrers Anthoine Hubert in Spa-Francorchamps 2019.

Eine neue Generation von GP-Anhängern und Berichterstattern war seit Imola 1994 herangewachsen, als wir am gleichen Rennwochenende Roland Ratzenberger und Ayrton Senna verloren; eine Generation, die den Tod als Fahrerlagergast nicht kannte, eine Generation, die im Frühling 1994 nicht fassungslos vor dem Fernseher sass, geschweige denn wie einige meiner Arbeitskollegen und ich die Imola-Tragödie vor Ort erlebten.

Oft habe ich selbst Fachleute sagen gehört: «Ach, in der Formel 1 kann doch nichts mehr passieren.» Ein trügerischer, kurzsichtiger, dummer Gedanke, der mich immer ärgert. Denn es bedarf nur verschiedener Faktoren, die aufeinandertreffen, um wieder einen Formel-1-Toten beklagen zu müssen.

«Motorsport is dangerous» steht auf jedem Zugangspass fürs Formel-1-Fahrerlager.

Wir sollten das keine Sekunde vergessen.

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