Wechselspiel bei Brawn
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Muss man böse denken in Formel-1-Fragen?
Nein, aber man kann es lernen. Der Fall Briatore/Piquet beweist eigentlich: Man muss es sogar lernen.
Manche Kollegen hatten es bereits gelernt, als Piquets Renault 2008 in Singapur plötzlich an der Streckenbegrenzung zerbröselte: «Das war Absicht», brüllte ein alter Freund und Kollege wie aus der Pistole geschossen. Mit ihm hatte ich mich jahrelang über Jean Todts Kommando amüsiert: «Rubens, let Michael pass for the championchip!» Der Ferrari-Teamchef hatte mit diesem Funkbefehl in Österreich 2002 Barrichello dazu aufgefordert, rechts ran zu fahren, den Blinker zu setzen, Schumi vorbei zu lassen, so zu wertvollen Punkten für dessen Titelgewinn zu verhelfen – und zutiefst gedemütigt.
Wir Lästermäuler verschärften die Erniedrigung des Nummer-2-Fahrers der Scuderia danach scherzhaft um ein bis zwei Stufen. Unser Funkbefehl lautete dann immer, wenn Barrichello unplanmässigerweise vor Schumi im Rennen lag: «Rubens, hit the wall for the championchip.» Oder auf gut Deutsch: «Rubens, fahr‘ für Michael in die Wand!», gefolgt von herzlich-hässlichem Gelächter.
Zugegeben, das war böse, niveaulos und ging nur auf Kosten anderer.
Aber Piquet/Briatore/Symonds legitimieren nun unseren Spott: Wir hatten also nichts weiter getan, als ein vollkommen alltägliches Szenario vorweg zu nehmen. Uns Grand-Prix-Analysten geht es somit keinen Deut besser als Polit-Satirikern heutzutage: Die Wirklichkeit ist mit Humor und düstersten Visionen nicht zu toppen. Es kommt tatsächlich immer noch schlimmer (vorausgesetzt Piquets Aussagen enthalten einen Funken Wahrheit), als man denkt.
Die Story ist aber noch nicht zuende, denn sie kann noch weitere Untiefen offenbaren. Denn ebenjener verlachte und weitgehend als weinerlich (v)erachtete Barrichello fährt nun, nach 16 Formel-1-Jahren, plötzlich wie beflügelt um den Titel. Dabei hat er zu Saisonbeginn keine Schnitte gegen seinen Teamkollegen Jenson Button gesehen.
Seltsam, nicht?
Nein, überhaupt nicht. Denn schon im schönen Mai erklärte Button auf der Höhe seines Schaffens den Gesetzen des Marktes gehorchend: «Mit meiner Vertragsverlängerung warte ich solange wie möglich. Da will ich jetzt gar nicht dran denken.»
Das war nachvollziehbar: Er wurde ja mit jedem Rennen teurer.
Aber der Höhepunkt dieses Preiskampfs kam für ihn schneller als erwartet. Schon mit seinem Triumph in Istanbul riss die sagenhafte Siegesserie wundersamerweise ab. Und nicht nur das: Seitdem dominiert der zuvor als Alteisen abgeschriebene Schum-Wasserträger Rubens Barrichello, der sich zuvor zweimal übel benachteiligt gefühlt und seine Strategen verflucht hatte, bei BrawnGP teamintern. Button braucht ihn nicht mal vorbeizulassen…
Hat also Barrichello das Gaspedal gefunden oder das Wunderkind Button, das drei Monate lang alles in Grund und Boden gefahren und nullkommanull Fehler begangen hat, plötzlich Angst vorm Siegen? Haben sich die Reifern geändert? Die Strecken? Die Regeln? Die Gene?
Nein! Das einzige, was sich geändert hat, sind die Entscheidungen. «Es ist alles eine Frage von Entscheidungen», hatte Barrichellos Renningenieur Jock Clear Barrichello nach seiner Zieldurchfahrt in Monza über Funk verraten.
Eine verschlüsselte Botschaft? Wer trifft die Entscheidung, dass Barrichello gewinnt, und nicht Button? Ist es Brawns Taktik, ist es die üppige Gehaltsforderung Buttons oder der Controller zuhause im Werk, der mit Blick auf das kommende Budget sagt: Der Fahrer muss billiger werden?
Ist das zu jetzt zu böse gedacht?
Warten wir’s ab: Die Formel 1 und ihre Hauptdarsteller haben immer noch eine Gemeinheit mehr auf Lager, wenn es darum geht, ihre Ziele durchzusetzen. Bis wir ihnen auf die Schliche kommen, gilt die Unschuldsvermutung. Solange müssen wir davon ausgehen, dass es die neue Radaufhängung ist, die Button bremst, oder die Luftführung um die neue äussere Frontflügel-Endplatte, oder die Form seines linken Aussenspiegels, die Beschichtung seines Visiers, oder…irgendetwas anderes, vollkommen Rationales.
Aber die Misstöne mehren sich merklich…